Glaubensbrief - Juni 2006 als PDF-Datei (87 kB)
Ein
Gottesbeweis auf zwei Beinen Ein junger Mann hatte eine jener Gruppen kennen gelernt, die das, wovon viele reden, wirklich tun: sie leben anders. Und er spürte: das Geheimnis, das diese Gruppe zusammenhielt, hatte einen Namen: Gott. Diesem Geheimnis wollte er auf die Spur kommen. „Ich kann zwar noch nicht an euren Gott glauben“, sagte er dem Leiter. „Aber so wie ihr seid, so möchte ich auch sein.“
Die Begegnung mit Taizé und mit Frère Roger hat mich tief geprägt. Und ich habe mir gesagt: Frère Roger und manche seiner Brüder gehören zu den faszinierendsten Menschen, die ich kenne. Auch Papst Johannes XXIII. gehört dazu. „Zufällig“ sind das alles sehr religiöse Menschen. An der Religion, die sie so geformt hat, muss doch etwas dran sein. Zumindest hat sie wie nichts anderes, das ich kenne, die Kraft, Menschen zu formen und zu liebenden Menschen zu machen. Nun – ist das kein „Gottesbeweis“, wie mein Freund es ausdrückte? Ich glaube, ja, und nicht der schlechteste. Frère Roger schreibt: „Die Menschen, die zu uns kommen, erwarten Brot. Böten wir ihnen Steine zum Anschauen, hätten wir unsere Berufung verfehlt. Sie suchen Menschen, die Gott ausstrahlen. Das setzt ein in Gott verborgenes Leben voraus, damit in uns die Präsenz Christi neu lebendig werde.“ Man spricht viel von Ausstrahlung. „Dieser Politiker hat keine Ausstrahlung“, sagt man etwa. Aber hier geht es um mehr. Die Besucher, die z. B. heute in ein Kloster kommen, suchen nicht clevere Prediger, auch keine Stars im geistlichen Gewand. „Sie suchen Menschen, die Gott ausstrahlen“. Sie suchen lebendige Gottesbeweise – Menschen, in denen die Präsenz Gottes spürbar wird.
Ein Obdachloser sagte zu Abbé Pierre, der unter den Armen lebte: „Ich glaube nicht an den Gott der anderen. Ich glaube an das, was Sie leben“. Dieser Mann war tief enttäuscht von vielen religiösen Menschen, die gerade ihre Religion hart und intolerant gemacht hatte. Er schloss von den Menschen auf ihren Gott, und an einen solchen Gott konnte und wollte er nicht glauben. An was er glauben konnte, war der Gott, den Abbé Pierre lebte: einen Gott, der zu den Armen hält, der selbst unter den Armen lebt. Aber dieser Gott (und nur dieser Gott) ist der Gott Jesu Christi. Der andere ist ein Popanz, den sich die Menschen selbst erfunden haben. Bist du auch in deinem Leben solchen „lebendigen Gottesbeweisen“ begegnet? Mit einem herzlichen Gruß Euer Karl Neumann |