22. Glaubensbrief - März 2008   PDF-Zeichen als PDF-Datei (55 kB)

Gott suchen

„Was suchst du in deinem Leben?“ wurde ich gefragt. „Qu’est ce que tu cherches?“ Es war in Taizé in einer französischen Gesprächsgruppe. Ja, was suche ich in meinem Leben? Eine Frage, die du dir in einer ruhigen Minute einmal stellen solltest.
Jeder nannte etwas anderes in dieser Gruppe, und was er nannte, gab uns einen tiefen Einblick in sein Leben.
Ich weiß nicht mehr, ob einer sagte: „In meinem Leben suche ich Gott“ (es waren Kommunisten und andere Atheisten dabei). Aber nach Paulus sind die Menschen geradezu dazu gemacht, Gott zu suchen: „Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern“ (Apostelgeschichte 17,27).
Gott zu suchen kann demnach gar nicht so schwer sein. Er ist keinem Menschen fern.
Er ist so nahe wie die Luft, die wir atmen.

Das sagt der Apostel Paulus den Intellektuellen von Athen in seiner berühmten Areopagrede (Apostelgeschichte 17,22-31). Im letzten Glaubensbrief habe ich über die Konfrontation des Christentums mit der Welt der Antike und den Anfang seiner Rede bereits gesprochen.

Es ist natürlich der Paulus der Apostelgeschichte, der hier spricht. Zu der Zeit, als Lukas die Apostelgeschichte aufschrieb, war Paulus längst den Märtyrertod gestorben. Es ist also eine von Lukas stilisierte Rede, und man nimmt an, dass sie das Modell einer urchristlichen Predigt darstellt, die die „Heiden“ überzeugen wollte. Paulus wird sie wohl in ähnlicher Weise oft und oft gehalten haben.
Bei der Predigt an die Juden konnte Paulus den Glauben an den einen Gott voraussetzen. Aber bei dieser Rede im intellektuellen Zentrum Athen geht es um das Fundament: um die Gottesfrage. Wer ist also dieser Gott, den wir suchen und der doch keinem von uns fern ist?

Gott ist der, der nichts braucht und alles schenkt

Meisterhaft gearbeitete Statuen
Foto: PixelQuelle.de

Das erste, was Paulus sagt: Ihr dürft von Gott nicht zu klein denken. Gott ist kein Machwerk von Menschenhand – das wäre ein Götze. Gewiss haben die Griechen jener Zeit nicht die kunstvollen Götterstatuen selbst, die uns heute noch entzücken, als Götter verehrt. Der Gott war nicht die Statue. Aber für einen Juden wie Paulus, der das erste Gebot stets im Ohr hatte „Du sollst dir kein Bild machen“, war jede Götterstatue ein Gräuel. Hier schließt sich die Missionspredigt des Urchristentums an die jüdische Missionspredigt an, wie Paulus sich auch sonst an die Mission der jüdischen Diaspora anschloss.
Der christliche Gott ist also keine Statue von Menschenhand; er braucht auch keine Tempel zum Wohnen, er braucht keine Opfer als Dienst. „Er lässt sich ... nicht von Menschen bedienen, als brauche er etwas: er, der allen das Leben, den Atem und alles gibt“ (17,25). Ein Gott, der nichts nötig hat und alles schenkt: das war die Überlegenheit des (jüdisch-)christlichen Gottesbildes.

Gott gibt es nicht im Plural

Von Gott nicht zu klein denken: Ein zweiter Aspekt der urchristlichen Missionspredigt über das rechte Gottesbild ist der Eingottglaube (Monotheismus). Er durchzieht die ganze Areopagrede des Apostels Paulus. „Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde“ (17,24) : Es gibt nur einen Gott, den einzigen Schöpfer und einzigen Herrn über Himmel und Erde. Hier hatte nicht nur der jüdische Eingottglaube dem Christentum vorgearbeitet, sondern auch die griechische Philosophie. Das Christentum sah in der griechischen Philosophie einen Bundesgenossen gegen die Vielgötterei der antiken Religionen. Von Platons „Idee des Guten“ über den „unbewegten Beweger“ des Aristoteles bis zum „Weltgesetz (Logos)“ der Stoa reichen die Einsichten der griechischen Philosophen, die in die Richtung des Eingottglaubens weisen. So hat Lukas als die Dialogpartner des Paulus auch die stoischen und epikureischen Philosophen erwähnt (17,18).
Der Eingottgottglaube besteht ja nicht darin, dass man statt der vielen Götter lediglich einen einzigen Gott verehrt und die Mehrzahl auf die Einzahl reduziert. Sondern es ist ein anderer Gottesbegriff. Das eine Geheimnis der Welt kann es nicht im Plural geben, der eine Herr und Schöpfer der Welt kann nicht im Plural existieren. Das „hen kai pan“ (Ein und Alles) kann nicht anders als einzig sein.

Gott ist Person, und er ist Atmosphäre

Gott: zugleich Person und allgegenwärtig

Von Gott nicht zu klein denken - ein dritter Aspekt. Der christliche Gott ist Person, aber er ist zugleich allgegenwärtig wie die Luft, die uns umgibt, und die uns atmen lässt. „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (17,28). Gott ist wie eine Person, wir nennen ihn Vater, und er ist zugleich wie die Luft, die allgegenwärtige, wie der Ozean, der unendliche. Beides zugleich können wir nicht in einer Vorstellung zusammenbringen, und doch ist beides wahr. Vielleicht ist das, was uns die Kernphysiker sagen: dass Licht einmal als winzige Teilchen und einmal als Wellen erscheint, eine gewisse Analogie dazu. Wenn wir uns die Natur des Lichtes schon nicht vorstellen können, was Wunder, wenn wir uns die Natur Gottes noch weniger vorstellen können. Und trotzdem kann die Kernphysik über das Licht und die Theologie über Gott wahre Aussagen machen. (Im siebten Brief meines „Schnupperkurs Glauben“ habe ich darüber mehr geschrieben.)

Christlicher Pantheismus?

„In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“. Ein ganz erstaunlicher Satz. Er riecht ein wenig nach Pantheismus. Das wird für viele unter uns kein Nachteil sein – im Gegenteil. Als ich neulich den Vortrag eines Nobelpreisträgers in Physik hörte, in dem er über seine Weltanschauung sprach, dachte ich spontan: Das kommt ja dem Pantheismus sehr nahe. Nicht von ungefähr üben pantheistische Weltanschauungen auf Naturwissenschaftler (und nicht nur auf sie) eine Faszination aus. Vgl. Einsteins Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Spinozas (pantheistischen) Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart. Nicht an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt“ („Schnupperkurs Glauben“, 8. Brief). Die Faszination, die der Buddhismus und die altindischen Anschauungen auf viele ausüben, dürfte ebenfalls hierhin gehören.

Der Urgrund der Welt hat ein Gesicht

Im Anschluss an das Wort „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ fährt Paulus fort: „Wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von seiner Art“ (17,28). Wieder, wie am Anfang seiner Rede, macht Paulus den stolzen Athenern ein Kompliment: er zitiert als Beleg einen ihrer Dichter. Interessanterweise stammt dieses Zitat aus dem Zeushymnus des Aratos. Das ist unerhört. Ich wüsste sonst im ganzen Neuen Testament keine Stelle, wo ein „heidnischer“ Dichter zustimmend zitiert wird – ja nicht nur das, wo ein Hymnus auf den Göttervater Zeus auf den christlichen Gott umfunktioniert wird.

„Wir sind von seiner Art“: Wir spüren: So sehr das Geheimnis Gottes auch unsere menschliche Person unendlich übersteigt, so sehr es nur in Gegensatzpaaren ausgesagt werden kann, die sich scheinbar auszuschließen scheinen (Vater – Meer, Person – Luft), so sehr hat das letzte Geheimnis des Daseins doch ein Gesicht, können wir es anreden und Du zu ihm sagen. Das kommt daher, dass wir, wie die Bibel und dieser Hymnus sagt, „von seiner Art“ sind. Der Mensch ist nach Gottes Bild geschaffen, darum ist es zwar falsch, den Spieß umzudrehen und zu sagen „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde“ (der Religionskritiker Ludwig Feuerbach), aber es ist richtig zu sagen: „Der Mensch darf sich Gott nach seinem Bild vorstellen“. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen bringt die „Menschebenbildlichkeit Gottes“ mit sich.
Ich kann mir vorstellen, dass der heutige Glaubensbrief den meisten schwierig vorkommt. Ich bitte um Entschuldigung. Es ist sonst meine Art, auch schwierige Sachen einfach und verständlich darzustellen. Aber auf der anderen Seite kann ich mir vorstellen, dass es eine spannende Herausforderung ist, zu sehen, wie viel neues Land es noch zu entdecken gibt. Über Gott nachzudenken, ist auch eine Art, ihn zu „suchen..., denn keinem von uns ist er fern“ (17,27).

Die Rede endet mit einem Eklat

Ich muss noch schnell erzählen, wie die Geschichte ausgegangen ist. Am Schluss seiner großen Rede hat Paulus Jesus erwähnt und von seiner Auferweckung gesprochen. Bei der Gottesfrage hatten die athenischen Hörer zugehört. Aber als er von der Auferstehung sprach, war ihre Geduld zu Ende. „Darüber wollen wir dich ein andermal hören“ sagten sie, höflich ablehnend, andere spotteten. Denn die Idee der Auferstehung war den Griechen, die an die Unsterblichkeit der Seele glaubten, ein unbekannter Gedanke. Sogar die griechischen Christen hatten da ihre Schwierigkeit (vgl. das 15. Kapitel des ersten Korintherbriefs). So ging Paulus weg, und er konnte nur wenige Leute gewinnen. Manche meinen: Das war der Beweis, dass seine ganze Methode in dieser Rede falsch war. Ich glaube das nicht. Lukas, der diese Rede in seine Apostelgeschichte aufnahm, wollte sie nicht als Negativbeispiel, sondern als Modell einer Missionspredigt über den christlichen Gott bringen. Und als solche fasziniert sie mich wegen ihrer Offenheit.

Ostern fällt ja dieses Jahr bereits in den März. So wünsche ich euch ein tiefes Mitleben der Karwoche und schon jetzt gesegnete, frohe Ostertage

euer
Karl Neumann