Woran glauben Sie, Herr Einstein?Im April 1929 erhielt Albert Einstein ein Telegramm des New Yorker Rabbiners Herbert Goldstein: "Glauben Sie an Gott? stop Bezahlte Antwort 50 Worte" - Einstein brauchte 29 Worte für seine Antwort. Er telegrafierte zurück: "Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart. Nicht an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt." Es ist immer eine missliche Sache, wenn man seinen Gottesglauben von Autoritäten abhängig macht. Denn man kann geniale Denker anführen, die an Gott glauben, aber ebenso geniale, die nicht an Gott glauben, und schließlich Denker wie Einstein, die zwar an einen Gott glauben, aber nicht an den jüdisch-christlichen Gott. Als kleiner Mann (oder Frau), der nun wirklich kein Einstein ist und vielleicht in Physik eine Fünf hatte, kommt man sich da ziemlich verloren vor. Und trotzdem muss man sich in dieser wichtigen Frage ein Urteil bilden. Denn von dieser Gretchenfrage hängt ab, wie ich leben soll. Wenn ein Gott ist, der über meinem Leben wacht und mich liebt wie ein Vater und eine Mutter, dann kann ich anders leben als wenn ich allein bin in diesem ungeheuren Weltall und neben mir höchstens Menschen, die genauso ohnmächtig sind wie ich. - Wer nun nicht an Gott glaubt, wird vielleicht das Gegenteil sagen: "Wenn es keinen Gott gibt, kann ich endlich frei von jeder Bevormundung leben, kann ich das Leben genießen. Ihr Diener des Christengottes müsst doch tausend Gebote halten!" Wie dem auch sei, für beide Seiten steht jedenfalls fest, dass es für mein praktisches Leben ein ganz großer Unterschied ist, ob ein Gott existiert oder nicht. Es ist also eine entscheidende Frage, egal wie man sie beantwortet.
Warum ich an Gott glaube
Was machen wir also? Ich will einfach
einmal von mir selbst reden und sagen, warum ich überzeugt bin, dass
Gott existiert. Zwei Orte sind es, wo ich Gott finde: die Welt und mein eigenes Leben. Für mich ist es immer noch einleuchtend, dass die Welt nicht von selbst entstanden sein kann. Jemand muss sie "gemacht" haben. Natürlich nicht in der sehr menschlichen Weise "gemacht", wie es in den beiden Schöpfungsberichten der Bibel geschildert wird. Sie sind ja vor mehr als zweitausend Jahren geschrieben, und die Menschen der damaligen Zeit hätten unsere exakte wissenschaftliche Sprache gar nicht verstehen können. Nein- wie Gott die Welt im einzelnen geschaffen hat, das lehrt uns die Naturwissenschaft. Nicht in sechs Tagen, sondern in Jahrmillionen und Jahrmilliarden der Evolution. Schöpfung und Evolution sind für mich kein Widerspruch, sondern Evolution ist die Art und Weise der Schöpfung. Den Streit zwischen Kreationisten (Schöpfungsgläubigen) und Evolutionisten in den USA finde ich ziemlich lächerlich.
Ist Gott ein Lückenbüßer?
Man sagt mir nun: Man kann den Prozess der Evolution vom ersten Wasserstoffatom bis zum Menschen lückenlos erklären. Die heutige Naturwissenschaft hat so rasante Fortschritte gemacht, dass sie dies alles auf natürliche Weise erklären kann. Sie braucht keinen Gott dafür. Ja, früher, als man die Naturgesetze noch nicht so kannte, da konnte man sich das nur als Schöpfungsakt und Eingreifen Gottes erklären. Gott wurde gebraucht, um die Lücken des Nichtwissens auszufüllen. Doch die Lücken werden immer kleiner Für einen Lückenbüßergott ist kein Platz mehr. Daran ist manches Wahre. Gott ist in der Tat kein Lückenbüßer. Er nistet nicht in den Lücken der Naturgesetze, nicht nur an den Grenzen unserer Erkenntnis, die sich immer weiter hinausschieben. Dann wäre ja jeder Fortschritt der Naturwissenschaft ein Schlag gegen Gott. Aber ich meine, das Gegenteil ist wahr. Seine Größe und Weisheit zeigt sich nicht in den Lücken der Naturgesetze, sondern in den Naturgesetzen selbst. Nicht an den Grenzen unserer Erkenntnis, die sich immer weiter hinausschieben, sondern in den erstaunlichen und verblüffenden Erkenntnissen selbst, die wir immer neu gewinnen. Albert Einstein sagt, was viele empfinden: "Jedem tiefen Naturforscher muss eine Art religiösen Gefühls naheliegen, weil er sich nicht vorzustellen vermag, dass die ungeheuer feinen Zusammenhänge, die er schaut, von ihm zum ersten Mal erdacht werden." Die Naturgesetze selbst sind das Staunenswerte. Wer hat sie in die Natur hineingelegt? Wer hat die "ungeheuer feinen Zusammenhänge" zum ersten Mal erdacht? Ob man in den Mikrokosmos geht (die Welt der Atome und Moleküle) oder in den Makrokosmos (die Galaxien und das gesamte Universum): überall eine unglaubliche Gesetzmäßigkeit, Ordnung und Harmonie. Diese hat der Mensch doch weiß Gott nicht gemacht, er kommt erst allmählich dahinter. Er kann sie höchstens nach-denken. Eine unvorstellbare Größe tut sich auf, und zugleich eine unvorstellbare Feinheit und Präzision, mit der diese Größe bis ins Kleinste durchgearbeitet ist. Wer ist dafür verantwortlich, wer hat das alles "zum ersten Mal erdacht"? Es muss ein ungeheuer überlegener Geist sein.
Im Anfang war der Wasserstoff
Und schließlich: Wie kommt es, dass sich aus einem einfachen Wasserstoffatom schließlich Leben und dann am Ende Geist entwickelte, dass aus diesem relativ primitiven Ursprung ein so unglaublich kompliziertes Gebilde wie der Mensch entstand? Anzunehmen, dass sich das alles "auf ganz natürliche Weise" einfach so ergeben hat, dazu gehört nun wirklich eine Menge Glauben! So viel Glauben wie ihn ein Atheist aufbringen muss, könnte ich, ehrlich gesagt, nicht aufbringen. Gewiss gibt es da Gesetze der Höherentwicklung (etwa Darwins Gesetz von Mutation und Selektion), aber sie können die erstaunliche Zielrichtung der Gesamtevolution nicht erklären. Und meine letzte Frage: Woher kommt
der Anfang? Wenn alles aus dem Wasserstoff entstanden ist - woher kommt
der Wasserstoff? Die Welt ist eine offene Frage - und
auch unser Leben ist eine offene Frage. Gott schütze Sie Ihr Karl Neumannzur Druckversion (pdf-Format)
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