Karl Neumann: Glaubenskurs OnlineZehnter Brief, September 2003:

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Wie ein Vogel in der Winternacht

Da sagt doch ein amerikanischer Fernsehprediger: "Was einen Nichtglaubenden heute von Gott überzeugt, das ist weniger die Ordnung im Universum als die Unordnung in seinem eigenen Herzen. Die Menschen kommen heute zu Gott nicht von der äußeren Welt der Ursachen, sondern von der inneren Welt der Ängste und Sorgen."
"Mein Gott!", dachte ich,, als ich das hörte, "dann wäre ja alles für die Katz, was ich über die Ordnung im Universum und ihre Ursache im vorletzten Glaubensbrief geschrieben habe".

Ich hoffe nur, dass die Deutschen in dieser Beziehung etwas vernunftbetonter sind als die Amerikaner. Ich will schließlich mit meinen Glaubensbriefen nicht auf die Gefühlsdrüsen drücken, sondern etwas bieten, das auch vor dem Verstand bestehen kann.

Trotzdem: beides muss sich ja nicht ausschließen, und der Mann aus Amerika sieht etwas ganz Richtiges. Frag die Leute, weshalb sie an Gott glauben. Die meisten werden sagen: Weil er mir Halt gibt in meinem Leben. Weil ich ohne ihn nicht weiß, was mein Leben für einen Sinn hat, oder ähnlich.

Eine sehr alte Geschichte

Entschuldigen Sie, wenn ich jetzt eine sehr alte Geschichte erzähle, aus dem 7. Jahrhundert.

Der englische König Edwin war im Zweifel, ob er den christlichen Glauben annehmen sollte, und beriet sich mit seinen Leuten. Da sagte einer: "König, du sitzt mit deinen Männern beim Mahl in der Winterzeit. Auf dem Herd in der Mitte flammt das Feuer, und warm ist die Halle. Aber draußen rast der Sturmwind mit Kälte, Regen und Schnee. Da kommt ein kleiner Spatz herein und fliegt in den Saal. Durch die eine Tür fliegt er herein, durch die andere hinaus. Für die paar Augenblicke, wo er drinnen ist, wird er vom Unwetter des Winters nicht getroffen. Aber sobald er deinen Blicken entschwindet, kehrt er in den dunklen Winter zurück. Ähnlich verhält es sich, wie mir scheint, mit dem menschlichen Leben. Wir wissen nicht, was ihm voraufgeht, noch wissen wir, was danach kommt. Wenn diese neue Lehre uns einige Sicherheit darüber bringt, ist sie es wert, dass wir sie genauer prüfen".

Woher kommt dieser kleine Vogel, Mensch genannt, und wohin fliegt er? Man kann noch so sehr diese Fragen verbieten, weil man sie wissenschaftlich nicht beantworten kann, sie lassen sich nicht verbieten. Spätestens dann, wenn der Arzt ihm mitteilt, dass er Krebs hat, wird auch der hartgesottene Atheist sich fragen: "Wenn mein Leben nun zu Ende geht, ist dann wirklich alles aus?" Oder wenn zwei heiraten wollen, denken sie wohl unwillkürlich: "Vielleicht gibt es doch eine Macht, die unser Leben lenkt und führt. Da sollte man sich mit ihr gut stellen und ihren Segen erbitten".

Ein Leben als konsequenter Atheist ist eben gar nicht so einfach zu führen.
Ich fragte meinen atheistischen Freund: "Sag mir doch einmal, welche Hoffnung hast du? Unser Leben ist kurz, was hast du zu hoffen außer dir ein paar schöne Tage zu machen, solange es geht? Aber ist das genug? Verlangt nicht jeder im Grunde nach mehr? Ist das der ganze Sinn deines Lebens? Hat es sonst keinen Zweck, kein Ziel?"
Er zuckte nur schmerzlich mit den Mundwinkeln, und ich spürte, dass ich einen Nerv getroffen hatte.

Paulus nennt die Menschen ohne Gott Leute, "die keine Hoffnung haben". Die Christen dagegen kann man ganz einfach definieren: Menschen, die Hoffnung haben.

 

Wohin gehen wir?

"Der Gute ist immer der Dumme!"

Für mich ist noch etwas Weiteres wichtig. Wenn es keinen Gott gibt, wofür lohnt es sich dann, gut zu sein? Wozu soll ich dann z.B. die Wahrheit sagen, wenn es mir Nachteile bringt und wenn keiner die Lüge oder den Betrug merken würde? Weshalb soll ich, wenn es hart auf hart geht, nicht eiskalt sagen: "Ich bin mir selbst der Nächste"?

Gibt es auf all diese Fragen eine bessere Antwort als die: "Mit Gott weiß ich, weshalb ich mich bemühe, gut zu sein, auch wenn es mir scheinbar nichts bringt. Er ist der stille Zeuge, der jede Lüge, jeden Betrug, wahrnimmt, auch wenn sie sonst keiner merkt. Und der natürlich auch in gleicher Weise das Gute wahrnimmt. Vor ihm habe ich zu verantworten, wie ich mein Leben führe. Wenn ich gut bin, tue ich das, was er will. Dann bin ich im Einklang mit meinem Lebensziel. Und das gibt ein gutes Gefühl.

Anders ausgedrückt: Wie kann ich ohne Gott eine Moral begründen? Einen absoluten Unterschied zwischen Gut und Böse? Eine absolute Unantastbarkeit des menschlichen Lebens?

Grafik: Dr. Watson und die 'Doppelhelix'Ein Beispiel: Der amerikanische Molekularbiologe James D. Watson erhielt 1962 den Nobelpreis. Kürzlich schrieb er in der "Frankfurter Allgemeinen" einen großen Artikel mit dem Untertitel "Warum wir Gott nicht mehr die Zukunft des Menschen überlassen dürfen". Das machte mich neugierig, ich las und staunte. Watson plädiert dafür, den Fortschritt der Gentechnik zu nutzen und erbkranke Kinder im Mutterschoß frühzeitig zu erkennen und, wenn die Eltern einverstanden sind, zu vernichten. Der größte Störenfried für diese Zukunftsvision scheint ihm die religiös motivierte Ansicht von der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens zu sein. Doch Watson hat Hoffnung. Diese Lebensschützer im Namen Gottes werden schließlich eine so kleine Gruppe werden, dass man sie ignorieren kann. Dann kann die "schöne neue Welt" beginnen.

Ich bin ihm dankbar für diesen Artikel, und zwar deswegen: Hier sagt einmal ein Top-Wissenschaftler ganz klar: Ich als nichtreligiöser Mensch kann keinen Grund finden, warum menschliches Leben unantastbar sein sollte. Der einzige, der eine solche Unantastbarkeit garantieren könnte, wäre Gott, wenn er denn existieren sollte.
Da bin ich ausnahmsweise einmal ganz seiner Meinung.

P.S. Worin sehen Sie den Sinn Ihres Lebens? Oder hat es keinen Sinn? Oder hat jedes Leben einen ganz anderen Sinn?
Was ist für Sie der stärkste Grund, an Gott zu glauben? Oder nicht zu glauben, wenn das auf Sie zutrifft?

Schreiben Sie mir ruhig, ich werde Ihnen antworten.
Dann bis zum nächsten Brief

Ihr Karl Neumann