Meine Begegnungen - 7. Brief, Dezember 2005 als PDF-Datei (190 kB)
Eine Sternstunde meines Lebens Meine Begegnung mit dem Priestertum Priester werden zur Zeit des Konzils Dieser Brief über meine Priesterweihe wird manche, die die katholische Sonderwelt nicht kennen (und ich möchte ganz besonders auch für sie schreiben!), nicht wenig befremden. Auch für mich selbst ist es mittlerweile weithin eine versunkene Welt. Ich wurde im Jahre 1964 geweiht. Das war kurz bevor der Sturm der 68er Revolte auch die katholische Kirche erfasste. Ja, diese besonders, denn hier kam zu der Revolte von außen noch eine Art Revolte von innen hinzu, der Umbruch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (Konzil: 1962 bis 1965). Meine Priesterweihe fiel also in die Zeit des Konzils, aber das erlebten wir damals durchaus noch als positiv: endlich wurden die alten Zöpfe abgeschnitten, endlich wurden die Fenster geöffnet und frischer Wind kam herein. Endlich wurde das verwirklicht, was wir schon lange ersehnt und erwartet hatten. Die lange verschriene katholische Kirche erhielt eine öffentliche Aufmerksamkeit, ja ein Wohlwollen der Medien, wie es lange nicht mehr da gewesen war. Ein neues Zeitalter der Kirche würde anbrechen, so glaubten wir, die Kirche hatte sich verjüngt. Die sympathische Figur Papst Johannes XXIII. wirkte noch nach, auch wenn er 1964 bereits verstorben war. So fiel der persönliche Höhepunkt meiner Priesterweihe zusammen mit einem Höhepunkt der Zeit für die katholische Kirche, der allerdings nur von kurzer Dauer war. Es war in vieler Hinsicht eine "heile Welt". Die Priesterseminare waren gefüllt. Und jedes Jahr trat aus unseren zahlreichen Ordensinternaten eine ganze Reihe von Abiturienten in das Noviziat ein. Als ich selbst im Jahre 1958 nach dem Abitur eintrat, waren wir 44 Novizen (!). Eine heute unvorstellbare Zahl. Sie war auch für damals hoch. Wir waren wahrscheinlich der größte Noviziatskurs nach dem Zweiten Weltkrieg. Bei der Priesterweihe waren es dann immerhin "noch" 36, darunter einige Ausländer, die während des Studiums zu uns gestoßen waren. Vorfreude
Vorfreude ist die schönste Freude, das galt auch hier. Ich durfte mir das Messgewand aussuchen, das meine Eltern mir schenken wollten, dazu den Messkelch - ein Geschenk von meiner Heimatgemeinde. Ich fand ein Messgewand, das mir außerordentlich gefiel, aber fast noch mehr gefiel mir der Kelch des Bildhauers Weinert: rotes Email, in dem lodernde Flammen zu erkennen waren, getragen von einem schweren Fuß aus Bronze. Danach galt es, die Einladungskarten zu gestalten. Ich wählte ein Wort des Apostels Paulus: "Unsere Sorge gilt den Menschen". Ja, das sollte als Leitspruch über meinem Leben als Priester stehen. Meine Sorge sollte den Menschen gelten. Auch die sogenannten "Primizbildchen" waren mir wichtig, weil man hier ein programmatisches Wort mitteilen konnte. Ich wählte auch hier ein Wort des Apostels Paulus: "Die Liebe Christi drängt uns, wenn wir dies bedenken: Einer ist für alle gestorben, somit sind alle gestorben. Er starb aber für alle, damit die Lebenden nicht mehr für sich selbst leben, sondern für ihn, der für sie starb und auferweckt wurde" (2. Korintherbrief 5, 14 bis 15). Nicht mehr für sich selbst leben: Viele spüren, dass es zu wenig ist, für das eigene Ich oder auch für die eigene Familie zu leben. Aber sie haben niemand, für den sie leben können. Doch es gibt einen, der für uns gelebt hat, sogar für uns gestorben ist. Für den zu leben, das gibt Erfüllung. - So dachte ich, als ich dieses Wort auswählte. Einige Tage vor der Weihe begannen die "Exerzitien". Ein Priester hielt uns religiöse Vorträge, die uns einstimmen sollten auf diesen Tag. Wir waren eingetaucht in strenges Schweigen. So konnten wir uns nicht um unsere Verwandten kümmern, die schon einen Tag vorher anreisten. Jeder hatte aus den unteren Klassen einen Führer bestellt, der die Verwandten und Bekannten vorläufig betreute. Erst nach der Priesterweihe konnten wir sie begrüßen und für sie sorgen. Die Weihe dauerte fast vier Stunden
Schweigend und gesammelt gingen wir also in die Feier der Priesterweihe hinein, die nahezu vier Stunden dauerte. Es war der 17. Oktober 1964, ein Samstag. Ein holländischer Bischof, der in Indonesien seine Diözese hatte, weihte uns. Ich weiß nach 41 Jahren nicht mehr viel von den Einzelheiten. Das Bewegendste war folgendes: etwa zu Beginn der Zeremonie streckten wir uns flach auf dem Boden aus, das Gesicht nach unten. Eine Geste der absoluten Anbetung. Und des inständigen Flehens, denn während wir alle auf dem Boden ausgestreckt lagen, wurde über uns die Allerheiligenlitanei gesungen.
Die eigentliche Weihehandlung war ganz einfach. Es war wie die Ruhe im Auge des Orkans. Nach all den Gesängen und Riten wurde es auf einmal ganz still, und in dieser Stille legte der Bischof uns schweigend die Hände auf, danach alle anwesenden Priester. Beim Primizsegen am Nachmittag war es umgekehrt. Ich drückte jedem und jeder meine beiden Hände auf den Kopf und sprach dabei für jeden ein spontanes, ganz persönliches Segensgebet. Nicht wenige weinten. Der rote Teppich Eine Woche danach feierte ich die Heimatprimiz (meine erste Messe in der Heimat). Meine Klassengenossen aus der Volksschule kamen mit geschmückten Autos, mich abzuholen, und ab ging der Konvoi über die Autobahn bis in mein Heimatdorf im Hunsrück. Am Eingang des Dorfes war ein Triumphbogen aufgerichtet. Kinder warteten dort, um ein Gedicht aufzusagen. Die Gemeinde holte mich am nächsten Morgen am Elternhaus ab.
Ich kniete vor dem Haus, und als der lange Zug von Messdienern, Priestern und Gemeinde ankam, setzte meine Mutter mir ein Kränzchen auf das Haar, das ich nun den ganzen Tag trug, und gab mir den Segen. Der Kelch, der ja ein Geschenk der Gemeinde war, wurde mir überreicht, und nun setzte sich der Zug zur Kirche hin in Bewegung. Am Kirchenportal hielten wir an. Ich stand auf dem Teppich von Herbstblumen und hörte zu, als ein Mädchen ein Gedicht aufsagte. Dann sah ich das Portal weit geöffnet, ein roter Läufer führte zum Altar, auf dem die Kerzen brannten. "Diesen Weg werde ich nun bis zum Altar gehen, um die Messe mit meiner Heimatgemeinde zu feiern", dachte ich. Aber zugleich war das der Weg, den ich gehen musste, mein künftiger Lebensweg. Er war gewiss nicht immer ein roter Teppich, doch er führte zu dem Ziel hin: zum Altar Gottes, zu den festlichen Lichtern, zur Heimat. Und ich war entschlossen, durch alle Höhen und Tiefen auf dieses Ziel zuzugehen. Meine 35 Kameraden zerstreuten sich bald in alle Kontinente: nach Afrika, Indonesien, den Philippinen, Papua-Neuguinea, Taiwan, nach Argentinien, Brasilien, Paraguay, nach den Vereinigten Staaten und in mehrere Länder Europas. Ich wurde nach einer Zeit des Weiterstudiums nach Japan geschickt. Wir alle wollten Missionare sein, d. h. wir wollten die Frohe Botschaft mit Vorliebe dort verkünden, wo sie noch nicht bekannt war. Wie Paulus sagt: "Sehen werden die, denen nichts über ihn verkündet wurde, und die werden verstehen, die nichts gehört haben" (Römerbrief 15,21). Euch allen eine nicht allzu hektische Adventszeit und ein gesegnetes Fest
Euer
Karl Neumann |