65. Glaubensbrief - 27. Nov. 2011   PDF-Zeichen als PDF-Datei (111 kB)

Dietrich Bonhoeffer: Die billige Gnade
   

Das Buch "Nachfolge"
von Dietrich Bonhoeffer

Ich habe eine Zeitlang in der Oberpfalz gelebt: im nördlichen Bayern. Dort, in Flossenbürg, hatten die Nazis ein Konzentrationslager errichtet. Wenn ich vor einer Betonwand in jenem KZ stand und das Schild las: „An dieser Stelle wurde am 9. April 1945 der Theologe Dietrich Bonhoeffer von den Nazis ermordet“, lief mir jedes Mal ein kalter Schauer über den Rücken.

Wer war Dietrich Bonhoeffer? Nicht weit von hier steht eine evangelische Kirche. Ihr Name: „Dietrich-Bonhoeffer-Kirche“. Bonhoeffer ist in den letzten Jahrzehnten zu einer Kultfigur geworden, und zwar über alle Konfessionsgrenzen hinweg.
Er war ein lutherischer Theologe und Pfarrer, und machte von Anfang an aus seiner Abneigung gegen den Nationalsozialismus keinen Hehl. Er schloss sich der Widerstandsgruppe um Admiral Canaris an, wurde 1943 verhaftet und zwei Jahre später hingerichtet.

Die Ähnlichkeit zu P. Alfred Delp, dessen Bild ich im letzten Glaubensbrief zeichnete, ist frappierend. Beide waren überzeugte Christen und Theologen, beide im Widerstand gegen Hitler engagiert. Beide wurden von der Gestapo verhaftet und verbrachten eine Zeit im Gefängnis. Dort schrieb Delp mit gefesselten Händen seine Notizen „Im Angesicht des Todes“. Die Briefe Bonhoeffers aus dem Gefängnis wurden später unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“ herausgegeben und sind das einflussreichste „Werk“ Bonhoeffers. Und schließlich: beide wurden im Jahre 1945, also noch kurz vor Kriegsende, von den Nazis hingerichtet. Dietrich Bonhoeffer ist also das protestantische Pendant zu dem Katholiken Alfred Delp, in seiner Wirkung wohl noch weitreichender und tiefgreifender als dieser.

Eines von Bonhoeffers Werken, das mir am liebsten ist, ist sein kleines Buch „Nachfolge“ und darin besonders der erste Aufsatz „Die billige Gnade“:

„Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament, Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer der Kirche , aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird, Gnade ohne Preis, ohne Kosten.
Doch es sei ja gerade das Wesen der Gnade, dass die Rechnung im Voraus für alle Zeit beglichen ist. Auf die gezahlte Rechnung hin ist alles umsonst zu haben. Unendlich groß sind die aufgebrachten Kosten, unendlich groß daher auch die Möglichkeiten des Gebrauchs und der Verschwendung. Was wäre auch Gnade, die nicht billige Gnade ist?
Billige Gnade heißt Gnade als Prinzip, als Lehre, als System, heißt Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, heißt Liebe Gottes als christliche Gottesidee.

In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht.
Billige Gnade ist darum Leugnung des Wortes Gottes, Leugnung der Menschwerdung des Wortes Gottes. Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders. Weil Gnade doch alles allein tut, darum kann alles beim Alten bleiben. ….
Es lebe also auch der Christ wie die Welt; er stelle sich der Welt in allen Dingen gleich.“

Ist das nicht die Haltung, die heute nicht nur in die lutherische, sondern auch in die katholische und in andere Kirchen eingedrungen ist? Vielleicht nicht mehr unter dem Stichwort der Gnade und der Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden allein. Aber unter anderen Stich- und Schlagworten. Man wollte weltoffen werden und die Welt mit der Kraft des Evangeliums durchdringen. Stattdessen ist oft umgekehrt die Welt in die Kirche und in die Orden eingedrungen.

Billige Gnade! So wie man zur Zeit Bonhoeffers die richtige und biblische Lehre von der Rechtfertigung aus Gnade allein durch eine kleine Verdrehung, die den meisten kaum auffiel, zur billigen Gnade uminterpretierte (wie Bonhoeffer zeigt), so interpretiert man heute die richtige und biblische Aussage von dem Gott, der die Liebe ist, um zu einem billigen Trostpflaster, zu einem Gott, der nur noch als Bestätigung des Menschen gesehen wird.
Wie kommt es, dass die Liebe Gottes, die die Kirche verkündigen muss, doch so seltsam kraftlos wirkt? Dass sie kaum noch jemand von den Stühlen reißt? Vielleicht deshalb, weil sie, in Analogie zu Bonhoeffers billiger Gnade, zur „billigen Liebe“ geworden ist. „Gnade als Schleuderware!“ sagte Bonhoeffer damals. „Liebe Gottes als Schleuderware“ könnte man heute sagen. „Gott liebt dich so, wie du bist!“ sagt man. Sehr richtig. Aber Gott will dich nicht so lassen wie du bist, er will dich weiter und höher führen.
Gnade ohne Nachfolge ist Augenwischerei, wie Bonhoeffer damals sagte. Ebenso ruft die Liebe Gottes in die Nachfolge. Sonst ist sie billige Liebe.

Liebe Freunde, in diesen Tagen beginnt der Advent, die Zeit des Wartens auf den Herrn. Zu Weihnachten wünsche ich Euch das Geschenk Seiner Liebe, Seiner teuren Liebe.

Euer
Karl Neumann