59. Glaubensbrief - April 2011   PDF-Zeichen als PDF-Datei (160 kB)

Zölibat im Kreuzfeuer (2. Teil)

Jeder weiß: über den Zölibat werden gern Witze gemacht. Wenn einer, der im Zölibat lebt, zur Witzfigur gemacht wird - wer will dann noch Priester oder Ordenschrist werden? Hier kann man bereits ein klein wenig sehen, was die erwartet, die den Zölibat freiwillig übernehmen, wenn er denn freigestellt werden sollte (wie es ja gefordert wird). Man wird dann fragen: Was ist denn mit dem los, dass er nicht heiratet? Ein komischer Kauz – oder ist er vielleicht schwul? Wenn man das heute bereits hören kann, hinter vorgehaltener Hand oder auch offen, wie wird es dann erst in der Zukunft sein?

Das ist eine der Schwierigkeiten bei der Freistellung des Zölibats. Ein bekannter protestantischer Professor sagte mir einmal: „Glauben Sie nicht, dass es so einfach sei, den Zölibat freizustellen. In meiner Kirche wird jeder Pfarrer schief angeschaut, der nicht verheiratet ist“.

Zölibat als bloße Fassade
kann dem Geist keinen Raum mehr bieten.

Wenn der Zölibat bloß Fassade wäre

Und trotz alledem: wenn der Zölibat in der Praxis nicht gehalten wird, dann ist es besser, ihn abzuschaffen oder freizustellen. Ich lebe in einem Orden und weiß über die Praxis des Zölibats bei Priestern der Diözesen nur vom Hörensagen bzw. aus Schätzungen, die man hier und da lesen kann und die recht verschieden ausfallen. Aber wenn ein bedeutender Teil der Priester im heimlichen Konkubinat (kirchlich gesprochen) leben würde, dann hätte der „Pflichtzölibat“ keinen Sinn mehr. Dann könnte man mit Paulus sagen: „Es ist besser zu heiraten als zu brennen“ (1. Korintherbrief 7,9). Ein Zölibat als bloße Fassade ist nicht mehr das Zeichen, das er eigentlich sein sollte. Im Gegenteil. Wie sehr sich das Zeichen in sein Gegenteil verkehren kann, wird an den Missbrauchsfällen durch Priester und Ordensangehörige deutlich.

Ein Leben im Zölibat kann auch missglücken

Doch nicht nur an sexuelle Handlungen sollte man denken, wenn man von dem Ärgernis eines schlecht gelebten Zölibats spricht. Oft wird gesagt: Der Zölibat soll den Menschen zu größerer Liebe befähigen. Zu einer Liebe, die über den engen Kreis der Familie hinausgeht. Doch wie sieht oft die Praxis aus? Ich will es mit einem Wort von Carlo Carretto sagen, der selbst in einer zölibatären Ordensgemeinschaft lebte:
„Wenn ihr euch fragt, worin die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Christen bestehen, müsst ihr zugeben, dass sie größtenteils von der Isolierung kommen, in der sie leben. … Selbst in religiösen Gemeinschaften: wie viele Mitglieder leben da isoliert in einer Wirklichkeit, die aus Mangel an Einheit, Gebet und Liebe dahinsiecht. Es sind Konvente, es sind nicht mehr Gebetsgemeinschaften. Es sind Klöster, sie beten, ohne einander zu lieben“.

Das gilt selbstverständlich nicht von all diesen Gemeinschaften, aber es ist eine Gefahr, über die man offener reden müsste. Das Leben als Eheloser kann missglücken, auch wenn man es in guter Absicht beginnt – übrigens genau wie eine Ehe missglücken kann, auch wenn beide sie in bester Absicht eingehen. Das ist kein Grund, nicht zu heiraten, und es ist kein Grund gegen den Zölibat. Aber man müsste mit denen, die ein Leben im Zölibat auf sich nehmen wollen, offener darüber reden und nicht nur das schöne Ideal, sondern auch die oft unschöne Wirklichkeit betrachten.

Ist der Zölibat schuld am Priestermangel?

Schließlich möchte ich noch über den Grund sprechen, der meist als wichtigster gegen den Zölibat angeführt wird. Es ist der Mangel an Priestern und die Hoffnung, durch Abschaffen der Zölibatsverpflichtung mehr Priester zu erhalten. In der Tat: die Priesterweihen in vielen Diözesen gehen gegen null und können den Ausfall durch Tod, Pensionierung oder auch Amtsniederlegung in keinster Weise ersetzen. Die Folge ist, dass ein Priester für immer mehr Gemeinden zu sorgen hat. Eine persönliche Sorge für die ihm Anvertrauten wird immer mehr unmöglich. Der Priester wird immer mehr zum Verwalter, zum Manager, zum Personalchef eines mittleren Unternehmens. Er hat zwar in den Diakonen, Pastoral- und Gemeindereferenten und –referentinnen mehr Mitarbeiter als früher, doch das ändert die Grundsituation nicht. Und diese Situation wird sich durch den wachsenden Priestermangel noch weiter verschärfen, und niemand weiß, wohin das noch führen wird. Wer hat da noch Lust, sich auf diese ständig wachsende Belastung, auf diese ungewisse Zukunft einzulassen? Der Teufelskreis ist perfekt: wegen der wachsenden Belastung gibt es immer weniger Priester. Und weil es immer weniger Priester gibt, wächst die Belastung für den einzelnen Priester immer weiter.

Es fragt sich nur: ist der „Pflichtzölibat“ der Grund, dass es so wenig „Priesternachwuchs“ gibt? Könnte die katholische Kirche ihr Personalproblem lösen, indem sie verheiratete Priester zulässt? Niemand kann das heute mit Sicherheit sagen. Fest steht, dass es außer dem Zölibat noch andere wichtige Gründe für den fehlenden „Priesternachwuchs“ gibt.
Da ist als erstes die geringe Kinderzahl in den Familien. Wo keine oder nur wenig Kinder sind, wird es logischerweise auch kaum Interessenten für den Priesterberuf geben – ob mit oder ohne Zölibat.

Versammlung von Priestern -
bald mit Frauen und Kindern?

Ein zweiter Grund ist die Entkirchlichung der heutigen Gesellschaft. Priester werden ist kein Job wie andere. Man kann es nur aus einem tiefen Glauben heraus tun. Und wo dieser Glaube nicht mehr vorhanden ist, gibt es selbstverständlich auch keine jungen Leute, die Priester werden wollen. Wenn ein Großteil der Jugendlichen nicht mehr in die Kirche geht, werden sie erst recht nicht auf den Gedanken kommen, Priester zu werden – ob mit oder ohne Zölibat. Ich frage mich also, ob man sich von der Aufhebung des „Pflichtzölibats“ nicht zu viel erwartet, wenn man sie (wie oft) als das Allheilmittel gegen die Personalknappheit in der katholischen Kirche ausgibt.

„Wenn die Kirche nicht mehr genügend ehelose Priester bekommt, muss sie verheiratete nehmen“

Trotzdem: der Zölibat ist einer der Gründe für den Priestermangel. Nicht wenige junge Männer, die gern Priester werden möchten, scheuen vor dem lebenslangen Zölibat zurück.
Der Theologe Karl Rahner und viele seiner Kollegen sagen nun „Wenn die Kirche nicht genügend zölibatäre Priester findet, muss sie die Verknüpfung von Priestertum und Zölibat aufgeben. Denn, genügend geeignete Seelsorger zu finden, ist für die Kirche eine höhere Pflicht als der Zölibat“.

Vielleicht ist die Situation, von der Rahner spricht, in der Gesamtkirche jetzt schon eingetreten (Deutschland ist nicht der Nabel der Welt). Vielleicht wird auch der Zölibat in der Praxis so schlecht gelebt, dass er eher ein Ärgernis als ein Zeugnis ist. Wenn das alles so wäre, sollte man ihn als „Pflichtzölibat“ aufgeben. Aber ob es in der Gesamtkirche so ist, kann ich mit meinem begrenzten Blickwinkel schlecht beurteilen. Ich fände es jedenfalls schade, wenn sich die katholische Kirche dazu gezwungen sähe. Schade fände ich es, wenn die Lebensform der „Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen“ (vgl. Matthäus 19,12) in der Kirche zurückgehen oder gar aussterben würde.
„Wer es fassen kann, der fasse es“, sagt der Herr (ebd.). Arme Kirche , wenn keiner es mehr fassen könnte.

Ich hoffe, dass die Kirche das Salz nicht verliert.
Dass sie nicht aufhört, ein Finger zu sein, der nach dem Ewigen weist.
Dass sie sich dieser Welt nicht gleichförmig macht (Römerbrief 12,2).
Dass sie ihre spirituelle Tiefe nicht verliert.
Dass sie Zeugnis gibt von der Transzendenz Gottes.

Euch allen ein frohes Osterfest

Euer
Karl Neumann