58. Glaubensbrief - März 2011   PDF-Zeichen als PDF-Datei (49 kB)

Zölibat im Kreuzfeuer

Eigentlich möchte ich in meinen Glaubensbriefen nicht über katholische Besonderheiten schreiben, sondern über das, was unser gemeinsamer christlicher Glaube ist. Doch andererseits greife ich gern aktuelle Themen auf. Und wenige kirchliche Themen werden in letzter Zeit so heiß diskutiert wie der Zölibat der katholischen Priester. Der Zölibat sei an allem schuld, könnte man meinen. Was ist die Ursache für sexuellen Missbrauch bei Priestern? Der Zölibat. Warum wollen so wenige junge Leute Priester werden? Der Zölibat ist schuld. Woran sieht man die verknöcherte Struktur der katholischen Kirche am deutlichsten? Am Zölibat.

Ich möchte jetzt nicht sagen, das alles sei falsch. Aber man sollte über solche Dinge vernünftig reden und nicht auf dem Niveau von Stammtischen.

Das erste ist: unterscheiden

Zunächst einmal gilt es zu unterscheiden. Das Gelübde des Zölibats, also das Versprechen lebenslanger eheloser Keuschheit, ist eines der drei Ordensgelübde. Als solches gehört es zur Struktur der katholischen Kirche und wird immer bleiben, solange es Ordenschristen gibt. Von seiner Abschaffung kann also für einen, der die katholische Kirche auch nur ein bisschen kennt, keine Rede sein.

Davon zu unterscheiden ist der Zölibat der Diözesanpriester, also der Priester, die keine Ordensleute sind und normalerweise die Pfarrseelsorge betreiben. Die Kirche verlangt auch von ihnen das Zölibatsversprechen. Und nur um diesen Zölibat der Diözesanpriester kann es gehen, wenn die Abschaffung des Pflichtzölibats gefordert wird.

Ein griechisch-orthodoxer Priester
mit Enkelkind

Denn am Anfang der Kirche gab es keine Zölibatspflicht. Sogar der erste „Papst“ der Kirche (Petrus) war verheiratet. In der Bibel wird geschildert, wie Jesus seine Schwiegermutter heilte (Markus 1,29-31 parr). Und bis ins Mittelalter hinein waren viele Priester verheiratet. Der Pflichtzölibat der Priester ist also kein göttliches Gesetz, sondern ein menschliches. Er wurde im Lauf der Geschichte eingeführt, er kann auch im Lauf der Geschichte wieder aufgehoben werden.

Das sieht man auch daran, dass er gar nicht für die ganze katholische Kirche gilt, sondern nur für deren lateinischen Teil. Daneben gibt es noch die mit Rom unierten (vereinten) Ostkirchen. Dort wurde bei der Union mit Rom die Praxis beibehalten, wie sie auch in den nicht mit Rom unierten Ostkirchen üblich war und bis heute ist: verheiratete Männer können zum Priester geweiht werden. Nur die Bischöfe müssen unverheiratet sein. Sie werden gewöhnlich aus der Reihe der Mönche genommen.

Warum zögert der Papst?

Aber wenn all das so ist, warum zögert der Papst denn so, den Zölibat der Diözesanpriester freizustellen? Wenn die protestantischen Kirchen den Zölibat nicht haben, auch die Ostkirchen nicht, und sogar ein Teil der römisch-katholischen Kirche (nämlich die mit Rom unierten Ostkirchen) nicht, warum hält Rom dann so hartnäckig am Pflichtzölibat für den lateinischen Teil der Kirche fest?

Eine schwer zu beantwortende Frage. Ich habe dem Papst nicht über die Schulter geschaut, und die Winkelzüge der römischen Kurie sind mir zuwider. Ich kann euch nur sagen, was ich denke. Und was ich als Mensch, der die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ (Matthäus 19,12) übernommen hat, erfahren habe.

Wenn man lautstark die Abschaffung des Zölibats fordert, dann geht man meist von einer Voraussetzung aus, die ich einmal ein wenig karikierend so beschreiben möchte: Man möchte den bedauernswerten Priestern, die im Zölibat gefangen sind, endlich die Tür ihres Gefängnisses öffnen. Man kann es sich gar nicht vorstellen, dass einer freiwillig auf Sex verzichtet, der für viele das Leben erst reizend macht. Dies kann er doch nur unter Zwang getan haben. Und den Urheber des Zwanges kennt man auch schon: die finsteren Machenschaften des römischen Systems, welches freie Christenmenschen nicht duldet.

Diese Leute können sich nicht vorstellen, dass der Zölibat ein Wert ist, den man mit ganzer Freiheit erstrebt.

Weshalb hat Jesus nicht geheiratet?

Warum hat Jesus nicht geheiratet? Er hat ganz für seinen Vater und für die Menschen gelebt. Dem Vater und den Menschen galt seine ganze Liebe und seine ganze Zeit, da konnte er nicht daneben noch eine Familie haben. (Dass Jesus ein erotisches Verhältnis mit Maria Magdalena hatte, ist der blühenden Phantasie von Bestsellerromanen und Hollywoodfilmen entsprungen.)

Voll und ganz im Dienste Jesu
aufgehen.

Jesus hat nun auch von seinen Jüngern eine Trennung von Haus und Familie verlangt. Er sagte: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein“ (Lukas 14,26). Diese Trennung galt auf jeden Fall für die Zeit des irdischen Lebens Jesu. Präzise von der Ehelosigkeit spricht Jesus an der Stelle, die ich eben schon kurz gestreift habe. Jesus antwortet auf eine Bemerkung seiner Jünger: „Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist. Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, … und manche haben sich selbst dazu gemacht – um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es“ (Matthäus 19,11 f).

Der Zölibat ist also eine Gnadengabe, die nicht jeder fassen kann und nicht jeder hat. Man muss dazu berufen sein. Aber der zum Zölibat Berufene glaubt, dass er wie sein Meister alles auf eine Karte setzen und so Jesus ähnlich werden kann.

Paulus lebte ehelos

Ein zweites Modell des zölibatären Lebens ist der Apostel Paulus. Nachdem der Auferstandene ihn berufen und sein ganzes Leben umgedreht hatte, lebte Paulus als Wandermissionar ganz für seine Gemeinden und für seinen geliebten Meister. Daher war auch er „um des Himmelreiches willen“ ehelos. Und er schreibt der Gemeinde in Korinth: „Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn; er will dem Herrn gefallen. Der Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt; er will seiner Frau gefallen“ (1. Brief an die Korinther 7,32 f). Das ist ein wenig plakativ gesagt, ist aber eine der wichtigen kirchlichen Begründungen für den Zölibat.

Wenn man so den inneren Wert dieser Lebensform sieht, kann man auch besser verstehen, warum die katholische Kirche sie allen Priestern und Bischöfen der lateinischen Kirche zur Pflicht gemacht hat. Der Priester soll in besonderer Weise mit Christus verbunden sein. Die Lebensform Christi ist seine Lebensform, er soll genauso ganz für Gott und die Menschen zur Verfügung stehen wie Jesus es getan hat, also auch Jesu Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen übernehmen. Das ist der wahre Grund des priesterlichen Zölibats, und nicht in erster Linie die Sorge, dass verheiratete Priester Kirchengut an ihre Kinder vererben und so der Kirche entfremden könnten.

Es mag Euch scheinen, als ob ich am Priesterzölibat nur eitel Sonnenschein sehen würde. Das ist aber natürlich nicht so. Nur reicht dieser Brief nicht, um beide Seiten (den Wert und auch die Probleme) vernünftig darzustellen. Von dieser letzteren Seite werde ich dann in meinem nächsten Glaubensbrief sprechen.

Bis dahin grüßt Euch recht herzlich

Euer
Karl Neumann