51. Glaubensbrief - August 2010   PDF-Zeichen als PDF-Datei (135 kB)

Kirche der Heuchler
   

Zeig dein wahres Gesicht, verstell dich nicht!

Die Öffentlichkeit reagierte äußerst heftig auf die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in Deutschland. Ich hörte eine Radiosendung, in der die Hörer anrufen und ihre Meinung sagen konnten. Die Anrufer waren so aufgebracht, dass der Moderator einmal spontan fragte: „Dann ist ja die katholische Kirche Ihrer Meinung nach eine kriminelle Vereinigung!“ Ja, ein Verein von Kriminellen, die naturwidrige Zölibatsgesetze halten, sich aber nicht scheuen, unschuldige Kinder zu missbrauchen – das war so ungefähr das Bild, das viele zumindest vom Klerus hatten.

Ich will da jetzt keine Mohrenwäsche versuchen, mein Punkt ist ein anderer. Für mich ist es der Widerspruch zwischen Reden und Tun, der die Gemüter so aufbringt. Ausgerechnet die katholische Kirche, die eine so strenge Sexualmoral vertritt – ausgerechnet hinter ihren blank geputzten Fassaden muss es dermaßen stinken!

Sie predigen Wasser und trinken Wein

„Sie predigen Wasser und trinken Wein“ hat man von einer bestimmten Sorte von Christen gesagt. Was die Menschen daran so abstieß und heute mehr denn je abstößt, ist die Heuchelei. Wem sie auf die Nerven geht, der befindet sich dabei in guter Gesellschaft. Jesus hat kaum etwas so gehasst wie die Heuchelei der Pharisäer und Schriftgelehrten. „Sie schnüren schwere Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, wollen selber aber keinen Finger rühren, um die Lasten zu tragen“ – so hat es Jesus treffend beschrieben (Matthäus 23,4).

Gewiss haben es die Prediger aller Konfessionen nicht leicht. Welcher Prediger, und sei er Papst oder Bischof, kann schon von sich behaupten, er setze auch „nur“ die Bergpredigt in die Tat um? Was Jesus sagt und vorlebt, ist hoch. Aber wenn ein Prediger es gar nicht versucht, wenn er eine Doppelexistenz lebt, wenn er, wie Jesus sagt, den Menschen schwere Lasten auf die Schultern legt und sie selbst mit keinem Finger anrührt, dann ist das ein zynischer Widerspruch zwischen Reden und Tun, der die Menschen abstößt wie sonst kaum etwas.

Die Heuchelei sitzt in deinem eigenen Herzen

Wenn Holzsplitter oder gar -balken
die gesunde Sicht beeinträchtigten.

Man kann sich über solche Heuchelei trefflich aufregen, aber Du musst aufpassen, dass Du darüber nicht selbst zum Pharisäer wirst. Dass Du die Heuchelei bei anderen geißelst, aber nicht merkst, dass sie auch in Deinem eigenen Herzen sitzt. Was Jesus von den Pharisäern sagte: „Sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen“ (Matthäus 23,3) – muss man das nicht auch von vielen Christen sagen? Ja, ich wette, es gilt auch von Dir – und von mir.
Ich fand es z. B. ein wenig verlogen, wenn Prediger oder Politiker sich wieder einmal nicht genug tun konnten, die Gier und Raffgier der Banker und Börsianer zu geißeln, die zur Finanz- und Wirtschaftskrise führte, und ganz vergaßen, sich dabei auch an der eigenen Nase zu packen. Da gingen alle froh nach Hause mit dem schönen Gefühl: „Denen hat er's aber gegeben!“ Wie gut, dass man selber ja so ganz anders ist!

Aber eine gute Predigt soll nicht andern den Kopf waschen, sondern dem Prediger selber und den Anwesenden. Den Splitter im Auge des Bruders zu sehen, ist leicht. Aber den Balken im eigenen Auge zu entdecken, kann seltsamerweise sehr schwer sein.

Ich wünsche allen, die in Urlaub fahren, eine erholsame Zeit.
Mit einem frohen Gruß

Euer
Karl Neumann