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Glaubensbrief - Juni 2010
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Bin ich konservativ?
Bin ich konservativ geworden? Das frage ich mich manchmal besorgt.
Besorgt deshalb, weil ich nie und nimmer konservativ sein wollte, Zeit
meines Lebens nicht. Kopfüber in die Krise 1965 war das Konzil zu Ende, und für die katholische Kirche begann der Streit darüber, wie man das Konzil umsetzen müsse. Die Kirche stürzte aus der Hoch-Zeit der Konzilsjahre sozusagen kopfüber in eine Krise ohnegleichen. Die Reformen, welche das Konzil brachte, gingen den Progressiven nicht weit genug, den Konservativen dagegen gingen sie schon viel zu weit. Diese schrieben die ganze Krise dem Konzil zu und hätten es am liebsten zum Teufel gewünscht, jene glaubten, die Reformen seien nur halbherzig, und das sei die Ursache der ganzen Misere. Die achtundsechziger Revolution in der Kirche Was die Sache noch verschlimmerte: die Krise der katholischen Kirche
fiel zusammen mit einer tiefen Krise und Umwandlung der ganzen
Gesellschaft. Es war ja die Zeit um das Jahr 1968. Ich war überrascht, als
ich in jenen Jahren wieder einmal meine alte theologische Hochschule
besuchte: in zwei, drei Jahren war eine neue Generation von Studenten
herangewachsen. Es roch nach Revolution. Progressiv hieß nun nicht mehr:
im Sinn der Reformen des Konzils. Nein progressiv hieß jetzt: links,
sozialistisch, marxistisch, revolutionär. Die Lust am Niederreißen Schwierig wurde es aber dann, als ich die Zustände in unserem
Ordensseminar näher kennen lernte und ein wenig mitzugestalten hatte. Es
war eine Zeit des Niederreißens. Erst wurden religiöse Übungen
abgeschafft, die man noch als peripher ansehen konnte. Doch die Lust am
Abschaffen wuchs und machte nicht eher Halt, als bis dieser Spitzhacke so
ziemlich alles zum Opfer fiel, was einem bequemen Ordensleben im Weg
stand.
War das progressiv oder war es konservativ? Wenn man in einer Sackgasse zurückgeht, um den richtigen Weg wieder zu finden – ist das dann Rückschritt oder Fortschritt? Vielleicht sind diese verkürzten Schlagworte nicht viel mehr als Etiketten, die man auf eine Flasche klebt. Die Etiketten sind ja schließlich nicht so wichtig. Wichtig ist der Inhalt. „Ihr lebt doch in einer anderen Welt!“ Viele Jahre sind inzwischen vergangen. Die Zeiten haben sich wieder und
wieder geändert. Meine Haare sind mittlerweile grau geworden. Den Kredit
der Jugend habe ich längst verloren. Und doch fuchst es mich, wenn junge
Leute zu mir sagen: „Leute in deinem Alter können unsere Denkweise ja gar
nicht verstehen. Ihr lebt doch in einer anderen Welt!“. Gegen dieses
Killer-Argument kann man nichts vorbringen. Denn alles, was man sagen
könnte, steht ja von vornherein unter dem Verdikt: „Hoffnungslos
rückständig!“ Ein wenig sollten dazu auch diese Glaubensbriefe beitragen. Euer Karl Neumann |