42. Glaubensbrief - November 2009   PDF-Zeichen als PDF-Datei (110 kB)

Sei hier!

Ich will mit einem Wort von Sören Kierkegaard anfangen:

Als mein Gebet immer
innerlicher wurde.

„Als mein Gebet immer andächtiger und immer innerlicher wurde,
da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen.
Zuletzt wurde ich ganz still;
ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist,
ich wurde ein Hörer.
Ich meinte erst, Beten sei Reden.
Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören.
So ist es. Beten heißt nicht sich selbst reden hören,
beten heißt, still werden und still sein,
und warten, bis der Betende Gott hört.“

Diese Erfahrung hat Kierkegaard gemacht. Jeder von uns kann sie auch selber machen. Aber er muss es versuchen.

Wie geht das?

„Beten lernt man nur durch Beten“ hat mir mal einer gesagt. Also möchte ich heute einmal nicht viele kluge Worte machen, sondern mit euch beten – mit einem Gebet, das euch mitnimmt auf eine Reise – wenn ihr euch mitnehmen lasst.

Das Gebet heißt: „Hier sein“. –„Hier bin ich doch sowieso!“ denkst du vielleicht. Von wegen! Du wirst merken, dass deine Gedanken wie wilde Vögel überall herumflattern und nicht hier bleiben wollen. Um wirklich Anwesende zu werden, hilft eine richtige Körperhaltung. Darum beginnt das Gebet bei der Körperhaltung. Und fährt fort mit dem Geist: „Sanft und fest“ hältst du deinen Geist, gibst deine Sorgen und Pläne aus den Händen.

Erst jetzt kommt das Gebet auf Gott zu sprechen. Denn bei der Reise in dein Inneres hinein triffst du ihn in der Mitte deiner Person.
- Ich will nur noch sagen, dass dieses Gebet von Dag Hammarskjöld stammen soll, dem Generalsekretär der UNO. -

Hier sein

Ich sitze hier vor dir, Herr,
aufrecht und entspannt,
mit geradem Rückgrat.
Ich lasse mein Gewicht
Senkrecht durch meinen Körper
hinuntersinken auf den Boden, der mich trägt.

Ich halte meinen Geist fest in meinem Körper.
Ich widerstehe seinem Drang,
aus dem Fenster zu entweichen,
an jedem anderen Ort zu sein als an diesem hier,
in der Zeit nach vorwärts und rückwärts auszuweichen,
um der Gegenwart zu entkommen.
Sanft und fest halte ich meinen Geist
dort, wo mein Körper ist: hier im Raum.

In diesem gegenwärtigen Augenblick
Lasse ich all meine Pläne, Sorgen und Ängste los.
Ich lege sie in deine Hände, Herr.
Ich lockere den Griff, mit dem ich sie halte,
und lasse sie dir.
Für den Augenblick überlasse ich sie dir.
Ich warte auf dich – erwartungsvoll.
Du kommst auf mich zu
und ich lasse mich von dir tragen.

Lass die Gestalten los, schaue die Farben.
Lass die Farben los, schaue das Licht.
Lass das Licht außen los, schaue es innen.

Ich beginne die Reise nach innen.
Ich reise in mich hinein,
zum innersten Kern meines Seins,
wo du wohnst.

Gott, du bist lebendig.
Du bist in mir,
Du bist hier,
Du bist jetzt.
Du bist.

Ich lasse meinen Atem
zu diesem Gebet der Unterwerfung
unter dich werden.
Mein Atem, mein Ein- und Ausatmen,
ist Ausdruck meines ganzen Wesens.

Einen frohen Gruß!

Euer Karl Neumann