32. Glaubensbrief - Januar 2009   PDF-Zeichen als PDF-Datei (50 kB)

Werd nur nicht zu fromm!

„Werd mir nur nicht zu fromm!“ - hat euch das schon mal jemand zugerufen? Ich glaube nicht, denn bei den meisten besteht keine Gefahr, dass sie zu fromm werden. Die Leute sagen: „Wer zu fromm ist, wird oft verschroben“. Und haben sie nicht Recht? Die Frommen und Superfrommen, die wir kennen – was sind denn das für Typen? Da ist der Mann, der weltfremd geworden ist, weil er nur in seiner religiösen Welt lebt. Oder die fromme Tante: sie ist so etepetete, dass du aufpassen musst, wenn sie zu Besuch kommt. Du musst dich benehmen. Rutscht dir mal ein Kraftausdruck heraus, fällt sie fast in Ohnmacht. Über sexuelle Dinge darf man in ihrer Gegenwart schon gar nicht sprechen, diese Seite der Wirklichkeit existiert für sie nicht. Denn die fromme Tante ist prüde.

Mir fallen noch viele solche Typen ein, aber ich möchte hier keine Karikaturen zeichnen. Ich möchte vielmehr das Problem herausarbeiten: Macht Frömmigkeit wirklich den Menschen verschroben? Muss man wirklich Angst haben, zu fromm zu werden? Die Antwort ist einfach: in der richtigen Frömmigkeit kann man nie zu fromm werden, in einer falschen Frömmigkeit dagegen sehr wohl. Das Problem ist nur, richtige und falsche Frömmigkeit zu unterscheiden.

Eltern benutzen Religion als Knüppel

Öffnet oder verschließt die Religiosität
das Fenster zum Leben?

Denn offenbar gibt es Fehlformen der Frömmigkeit, Fehlformen der Religion. Ich habe eben einige genannt. Religiöse Menschen können oft intolerant und rechthaberisch sein. Religion kann missbraucht werden. Als Rechtfertigung von Rassendiskriminierung wie bei den Weißen in Südafrika. Als Grund von Antisemitismus wie oft im christlichen Europa. Religion begründet das Kastenwesen in Indien. Sie rechtfertigte die Unterdrückung durch Feudalherren und Obrigkeitsstaat wie früher in Europa und Lateinamerika. Wie viele Eltern missbrauchten Religion als Knüppel, um ihre Kinder besser in Schach zu halten. Wie viele Kinder sind durch eine falsche religiöse Erziehung neurotisch geworden und „verkorkst“.

Natürlich kann man sagen: das alles kommt durch eine falsche Religiosität, eine falsche Frömmigkeit. Aber das Problem ist, wie gesagt, die echte Religion und Frömmigkeit von der falschen zu unterscheiden. Konkret gesagt: Du hast am Christentum Interesse gefunden. Du bist überzeugt davon, dass dein Leben sich Gott verdankt, dass Jesus Christus dir ein besseres Vorbild sein kann als all die Sternchen, die von der Unterhaltungsindustrie angeboten werden. Du spürst: Ich muss so leben, wie ein Christ lebt. Ich muss aus dem Glauben leben. Aber nun die Schwierigkeit: soll ich all diese Mühe auf mich nehmen, nur um am Ende festzustellen, dass mich der Glaube unduldsam gemacht hat oder rechthaberisch oder lebensuntüchtig? Wie kann ich da vermeiden, dass ich in eine falsche Frömmigkeit hineingerate? Dass ich mir all die Mühe nur gemacht habe, um am Ende auf einem Holzweg zu landen?

Sie verschlucken Kamele

Ich denke, die Antwort kann man am Leben Jesu ablesen. 1. Schau auf Jesus, der ist „frommer“ und heiliger als wir alle, aber es ist eine gesunde Frömmigkeit. Jesus ist nicht prüde, nicht etepetete. Er ist ein erstaunlich freier Mensch, der sich gegen viele Konventionen seiner Umwelt durchsetzt. 2. Höre auf das, was er sagt. Er hat gesagt, dass die Liebe das Zentrum ist (vgl. Matthäus 22,35-40). Über die Vertreter einer falschen Frömmigkeit sagte er in seiner drastischen Sprache: „Ihr siebt Mücken aus und verschluckt Kamele“ (Matthäus 23,24). Diese Herren wollten ganz besonders fromm sein und haben daher auch die kleinsten Fehler und Gesetzesübertretungen zu vermeiden gesucht. Aber dabei haben sie die wirklich wichtigen Dinge gar nicht gesehen und die „Kamele verschluckt“: die Sünden gegen die Liebe, die Arroganz, besser sein zu wollen als die anderen.

Die Religion Jesu ist eine Religion der Liebe

Kommst du, Ketten zu sprengen
oder Ketten anzulegen?

Die Religion Jesu ist Liebe. Wer Religion gebraucht, um Hass zu säen, sei es Rassenhass, Judenhass oder was auch immer, wer Religion gebraucht, um Menschen gefügig zu machen, seien es Kinder, seien es Erwachsene, der hat nicht die Liebesreligion Jesu, sondern eine Pseudoreligion.

Ich denke, wenn du diese beiden Kriterien anwendest: auf Jesus schauen, auf sein Wort der Liebe hören, dann wirst du nie echte und falsche Religion verwechseln, dann wirst du nie auf einem Holzweg landen.

Für das Neue Jahr wünsche ich euch viel Glück und Gesundheit. Doch als Christ bin ich überzeugt: es gibt noch Wichtigeres als Gesundheit. So wünsche ich euch vor allem, dass Gott euch führe, auch durch das Neue Jahr!

Euer
Karl Neumann