29. Glaubensbrief - Oktober 2008   PDF-Zeichen als PDF-Datei (76 kB)

Kirche und Politik

Nach dem 4. November werden wir es wissen: wer der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika geworden ist. Wird der Demokrat Barack Obama es werden, oder wird es wieder ein Republikaner sein, nämlich John McCain? In den USA wird der mächtigste Mann im Staat im Unterschied zu Deutschland vom Volk direkt gewählt. In einem Land wie den Vereinigten Staaten spielen hierbei religiöse Aspekte eine wichtige Rolle. So kam am vergangenen Sonntag folgende Meldung im Rundfunk: Die konservativen Evangelikalen in den USA möchten das Recht haben, auf der Kanzel Werbung für eine bestimmte Partei oder einen bestimmten Kandidaten zu machen. Wir wissen: in den USA herrscht strikte Trennung von Kirche und Staat. Darum verstößt eine solche Wahlhilfe von der Kanzel aus auch gegen dieses amerikanische Grundprinzip.

Die Köpfe der im Mount Rushmore verewigten
US-Präsidenten: George Washington, Thomas Jefferson,
Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln

Für welche Partei die konservativen Christen Wahlhilfe leisten möchten, ist unschwer zu erraten. Sie gehören zu den Stammwählern der Republikaner. Bereits bei der letzten Präsidentenwahl kam George W. Bush wesentlich auch durch ihre Unterstützung an die Macht – auch ohne Empfehlung von der Kanzel.

Wahlhilfe von der Kanzel

In Deutschland halten die beiden großen Kirchen sich in ihrer Wahlempfehlung deutlich zurück. Sie empfehlen in ihren Aufrufen vor der Bundestagswahl keine bestimmte Partei. Das ist gut, aber es war nicht immer so. Ich erinnere mich noch an Hirtenbriefe der deutschen katholischen Bischöfe in den fünfziger Jahren, wo die Wahlempfehlungen sich wie das Parteiprogramm der CDU lasen.

Das ist verhängnisvoll. Einmal, weil Christen in allen Parteien, sofern sie demokratisch sind, tätig sein können. Der christliche Glaube gibt keine fertigen Lösungen für die vielen komplizierten Probleme unserer Zeit. In diesen Fragen können Christen zu ganz unterschiedlichen Lösungen kommen. Aber vor allem ist es verhängnisvoll, weil hier der Glaube leicht auf die Ebene einer Partei herabgezogen wird. Wer aus irgendwelchen Gründen gegen diese Partei ist, ist dann leicht auch ein Gegner des Glaubens oder der Kirche, wenn sie sich mit der Partei allzu sehr identifiziert. Die Kirche muss über den Parteien stehen, auch wenn ihr die eine näher stehen mag als die andere.

Nicht in die Sakristei einsperren

Ein Teelöffel Salz auf den ganzen Topf

Das heißt nun wahrhaftig nicht, dass Christen sich „in die Sakristei“ zurückziehen sollten. Nein, sie sollen sich mehr als bisher gesellschaftlich und sozial engagieren, auch in der Politik. Aber sie sollen es wie der Sauerteig und wie das „Salz der Erde“ tun. Also nicht sozusagen auf einem Klumpen bleiben, sondern, verteilt in den Teig und in die Speisen, sie von innen her durchdringen. Christen leben in der „Diaspora“, in der Zerstreuung. Es ist zwecklos, partout ein katholisches oder protestantisches Milieu zu erhalten; das säkulare Milieu der heutigen Zeit ist das passende Milieu der Christen. Der Glaube kann in der heutigen Gesellschaft nicht durch Gesetze und Gotteslästerungsprozesse verteidigt werden. Er lebt nicht von Privilegien der Kirche, sondern durch die Überzeugungskraft seiner gläubigen Menschen.

„Die Kirche mischt sich in die Politik ein!“ wird oft gesagt. Nein, nicht die Kirche soll sich in die Politik einmischen, wohl aber die Christen.

Amerika ist weit, und doch hängt vom neuen Präsidenten der USA auch für uns sehr viel ab. Wir sollten für einen guten Ausgang der Präsidentenwahl in Amerika beten.

God bless you.

Euer
Karl Neumann