24. Glaubensbrief - Mai 2008   PDF-Zeichen als PDF-Datei (81 kB)

Ich kann nicht verzeihen

Draußen klatschte der Regen, tobte der Sturm. Ein Reiter pochte ans Burgtor: „Ich bitte euch, gebt mir Unterkunft. Ich habe mich verirrt bei diesem Unwetter“. Man ließ ihn ein, und während er sich am Kaminfeuer ausruhte, fühlte er, als ob ihn die Blicke der Hausbewohner durchbohrten. Sie hatten ihn erkannt. Denn nun überlief es ihn siedend heiß: er war unglücklicherweise in dieselbe Burg geraten, in die er vor drei Jahren auf einer Hugenottenhatz eingedrungen war, samt den Häschern, die ihn begleiteten. Er hatte die Schlossherrin gefoltert, weil sie das Versteck ihres Gatten nicht preisgeben wollte. In die gleiche Flamme, an der er sich jetzt wärmte, hatte er ihre Beine gehalten,

Das Tor wieder öffnen,
um Begegnung zu wagen?

so lange, bis sie unter entsetzlichen Qualen starb. Aber das Versteck ihres Gatten hatte sie nicht verraten. Dieser Gatte nahm ihn nun auf. Verständlich, dass er in der Nacht kein Auge zu tat. Aber der gläubige hugenottische Burgherr rächte sich nicht. Doch beim Abschied gesteht er: „Heute ward sein (Gottes) Dienst mir schwer. Gemordet hast du teuflisch mir mein Weib! Und lebst ... Mein ist die Rache, redet Gott." (C.F.Meyer: Die Füße im Feuer).

Jesus hielt nicht die andere Wange hin.

Ich weiß nicht, ob ich das gekonnt hätte. Es ist leicht gesagt: „Du musst deinen Feinden verzeihen!“ Aber versuch das einmal, wenn dein Feind dir dein Kind ermordet hat. Was heißt Verzeihen hier eigentlich? Es nicht der Polizei melden? Das kann doch nicht sein. Jedes Unrecht verletzt die Gerechtigkeit und schreit nach Wiedergutmachung. Das ist wohl der Grund, warum wir ein Unrecht nicht durch Verzeihen aus der Welt schaffen, sondern es bestraft (und sagen wir ruhig: gerächt) sehen wollen. Musst du immer die andere Wange hinhalten, wenn du auf die eine geschlagen wirst? Wie hat es denn Jesus selbst gemacht, als er von einem Knecht des Hohenpriesters geohrfeigt wurde? Mitnichten hat er die andere Wange hingehalten, sondern erwidert: „Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?“ (Johannesevangelium 18,23).

Ich will hier nicht sagen, dass man nicht verzeihen solle, weiß Gott nicht. Aber ich will auch die Schwierigkeiten nicht unter den Teppich kehren, wie man das in manchen frommen Predigten hört. Es gibt ja verschiedene Typen von Menschen. Der eine teilt lieber aus als dass er einsteckt. Wenn er geschlagen wird, schlägt er zurück, und damit ist die Sache für ihn erledigt. Er kann es vergessen, es wurmt ihn nicht mehr, er hat’s dem anderen ja heimgezahlt.

Ganz anders ein anderer Typ. Er kann sich nicht wehren oder will sich nicht wehren, weil er nicht Gleiches mit Gleichem vergelten will. So schluckt er das Unrecht hinunter, aber es nagt in ihm und macht ihn vielleicht krank. Und er denkt: Der Schlägertyp, der mich geschlagen hat, hat es leicht. Er hat nicht viel zu vergeben, denn er teilt ja eher aus als dass er einsteckt. Und nicht genug, dass er anderen Unrecht tut. Er bürdet ihnen dazu noch die Last auf, dass sie ihm das alles vergeben müssen.

Der schwerste Satz im Vaterunser

Doch nun zur anderen Seite. Kaum etwas hat Jesus so oft und so energisch betont wie das Verzeihen. In jedem Vaterunser sagst du: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Das ist das einzige Versprechen, das im Vaterunser enthalten ist. Und damit nicht genug. Auf dieses kleine Sätzchen kommt es Jesus ganz besonders an. Er sagt im Anschluss an das Vaterunser: „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Matthäusevangelium 6,14 f). Ein klares Wort. Dass Gott uns vergibt, ist an eine Bedingung geknüpft: dass wir den Anderen vergeben. Ich kenne Geschwister, die sprechen schon Jahre lang nicht mehr miteinander wegen einer Erbstreitigkeit. „Wie können die eigentlich das Vaterunser beten?“ fragen die Leute. Denn sie beten es jeden Tag.

Ich kann nicht alle Worte Jesu nennen, wo er von der Notwendigkeit des Verzeihens spricht. Dem, der nicht verzeihen kann, helfen sie auch wenig. Ihn drücken sie vielleicht nur noch mehr nieder, weil er ja verzeihen möchte, es aber nicht kann. Denn die Schwierigkeiten, die ich oben nannte, sind durch einen Befehl, zu verzeihen (und wenn er auch von Jesus kommt), ja nicht aus der Welt geschafft.

Was ich Menschen sage, die nicht verzeihen können

Vielleicht hilft das, was ich jetzt sage, etwas weiter.
Vergeben heißt nicht: vergessen. Wem seine Frau ermordet wurde (wie in der Geschichte oben), der kann das natürlich nicht vergessen. Aber er kann, wie der Burgherr, auf Rache verzichten, obwohl der Verbrecher in seiner Hand war. Das fiel ihm nicht leicht („heute ward sein Dienst mir schwer“), aber um Jesu willen hat er es getan. Er kann auf Rache verzichten, weil er Gott die Rache anvertraut: („Mein ist die Rache!, spricht der Herr“, Deuteronomium 32,35). Gott stellt die Gerechtigkeit wieder her, wir müssen es nicht selber tun.

Kannst du für deinen Feind beten?

Wenn Menschen zu mir kommen und sagen: „Ich kann nicht verzeihen“, dann frage ich sie: „Kannst du denn für deinen Feind beten?“, und: „Wirst du ihm helfen, wenn er in großer Not ist?“. Wenn sie beides bejahen, antworte ich: „Dann hast du das Wichtigste getan. Du kannst dem gegenüber, der dich so verletzt hat, jetzt nicht das Gefühl der Liebe empfinden. Gräme dich nicht darüber. Wunden müssen heilen. Bei dem einen heilen sie schneller, bei dem anderen langsamer. Liebe ist kein Gefühl, sondern eine Einstellung: auf Rache verzichten, für deinen Feind beten, ihm helfen, wenn er in Not ist. Wie Jesus sagt: „Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln.“ (Lukasevangelium 6,27 f).

Der unbarmherzige Diener

Jesus erzählt eine Geschichte. Ein Diener steht bei seinem Herrn mit der unglaublichen Summe von Millionen Euro in der Kreide. Er kann nicht zahlen, bettelt den Herrn um Aufschub an. Der erlässt ihm großzügig die ganze Schuld. Auf dem Heimweg trifft er einen anderen Diener, der ihm etwa hundert Euro schuldig ist. Der bittet ihn ebenfalls um Aufschub. Doch der andere will nicht. Er lässt ihn ins Gefängnis werfen.

„Gemein! Unmenschlich!“ rufen wir aus. Doch Jesus sagt: „Dieser Mensch bist du selbst!“. Wenn du wüsstest, wie riesig groß deine Schuld bei Gott ist, die er dir immer wieder verzeiht, dann wüsstest du: Was ich dem anderen zu verzeihen habe, ist dagegen ein Klacks.

Aber wir machen es umgekehrt. Wir sehen wie dieser Knecht nur die Schuld, die der andere gegen uns hat, und merken nicht, wie klein sie ist gegen das, was Gott uns immer wieder verzeihen muss und verzeiht, wenn wir ihn bitten. Ich denke, dieses Gleichnis kann sehr helfen, zu verzeihen.

Einen wunderschönen Monat Mai wünscht euch

euer
Karl Neumann