23. Glaubensbrief - April 2008   PDF-Zeichen als PDF-Datei (67 kB)

Der gestirnte Himmel über mir

“Akademiker, 36, sportlich-schlanke Erscheinung, hat Freude an Natur u. an Tieren. Er wünscht sich eine unkomplizierte, natur- bzw. tierliebende Lebenspartnerin zum Aufbau einer echten Lebensbeziehung“ (Anzeige im Internet).

Naturliebe ist oft das Wichtigste, was ein Mann für seine Partnerin oder eine Frau für ihren Lebenspartner wünscht. Nun, ich bin katholischer Priester und gedenke, so Gott will, keine Heiratsanzeige aufzugeben. Ich kann mir allerdings gut vorstellen: Wenn ich mir einem Menschen auszusuchen hätte, um mit ihm mein Leben zu teilen, könnte es nur ein naturverbundener Mensch sein. Ja, ich möchte fast sagen, das wäre mir noch wichtiger als das „richtige Gesangbuch“. Über das Gesangbuch kann man diskutieren, man kann im Gespräch viel erreichen. Aber einen Menschen, der keinen Sinn für Natur hat, dem kannst du keine Naturliebe andemonstrieren, wie sehr du dich auch anstrengst. „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nie erraten!“ steht irgendwo im „Faust“.

Sonnenuntergang

 Ein verzaubernder Anblick

Es gibt Menschen, die lässt der herrlichste Sonnenuntergang völlig kalt. Da züngeln die tiefroten Flammen des Abendrots, da lagern dunkle Wolken wie Kulissen mit feuerfarbenem Saum, und hinter dem versinkenden Sonnenball ein türkisblauer Himmel, der immer dunkler und nächtlicher wird – das ist ein Schauspiel, für das ich manch anderes Schauspiel hingeben würde. Der „kleine Prinz“ war so davon hingerissen, dass er auf seinem winzigen Planeten an einem Tag dreiundvierzig Sonnenuntergänge betrachtete.

Singdrossel

Aber es müssen nicht immer Sonnenuntergänge sein. Ich gehe mit jemand spazieren, wir unterhalten uns angeregt. Plötzlich bleibe ich stehen. „Du“, sage ich, „hörst du die Singdrossel nicht?“ „Entschuldige“, sagt er, „wir sind gerade in einer spannenden Unterhaltung, und da kannst du auf singende Vögel achten?“. Für ihn war der Gesang der Singdrossel etwas Ähnliches wie der Lärm der fernen Autobahn: ein störendes Geräusch, das man ausblendet. Doch mir geht es durch „Mark und Pfennig“, wenn ich vom Wipfel einer hohen Fichte herab die weit schallenden Rufe der Singdrossel höre, die das Ende des Winters und den ersten Hauch des Vorfrühlings ankündigen.

Frühlingssturm

Ein drittes Erlebnis: Ich ging aus meinem Zimmer hinaus in den Klosterwald einer bayrischen Abtei. Der Waldboden war bereits mit weißen Buschwindröschen und lila Lerchensporn übersät, aber durch die kahlen Äste der alten Eichen fegte der Frühlingssturm. Der Wald bedeckte die Kuppe eines Hügels, so konnte der Wind voll ansetzen. Droben in den hohen Baumkronen ein Brausen, ein Heulen des Sturms, das an- und abschwoll. Und oben durch die noch kahlen Äste sah ich zerrissene Wolken, die der Sturm vor sich her trieb.

 Dunkle Wolken ziehen auf - auch im Innern?

Das, was ich außen sah, entsprach dem, was ich innen spürte. Und ich dachte nach, wie es kommt, dass die Natur so oft ein Spiegelbild unserer Seele ist. Ob es die Hoffnung und Verheißung des Frühlings ist oder die Schwermut des späten Herbstes, ob die Enge eines Felsentals oder die Weite einer Ebene: die Stimmung in der Natur kann ein Spiegel der Stimmung im Inneren sein (wir gebrauchen ja das gleiche Wort für beide). Von welcher geheimen Verwandtschaft zeugt das?

Die unendliche Weite ist mein Haus

Viele sagen, dass sie in der Natur Gott erfahren. Vielleicht bin ich nicht fromm genug, aber ich kann nicht bei jedem Gräschen und Blümchen an den „lieben Gott“ denken. Es ist bescheidener, namenloser, was ich erfahre, aber vielleicht hat es am Ende doch mit Gott zu tun. Wenn ich aus dem Haus heraustrete, die vielen kleinen menschengemachten Dinge hinter mir lasse, die mich in Beschlag nehmen wollen, wenn ich dann in die freie Natur hinaustrete, den weiten Himmel über mir sehe und schließlich die weite Landschaft, dann spüre ich, dass es etwas Größeres gibt als unser kleines Menschenwerk, dass die Wirklichkeit ganz andere Dimensionen hat. Und wenn ich nachts den Sternenhimmel über mir sehe, dann könnte ich mir verloren vorkommen in diesem Universum, dessen Dimensionen ich mir gar nicht vorstellen kann. Aber ich komme mir nicht verloren vor. Das Universum ist wie ein Haus, in dem ich geborgen bin. Die unendliche Weite ist mein Haus.

Und wenn ich wieder zurückgehe in mein kleines Haus, in meinen kleinen Alltag, dann weiß ich: So unvermeidlich das alles sein mag – der Mensch ist für Größeres gemacht.

P.S. Die Überschrift über diesen Brief ist ein Zitat. Zwei Dinge erfüllten den Philosophen Kant mit immer neuer Bewunderung und Ehrfurcht: „Der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“. Das ist heute nicht anders.

Mit einem frohen Gruß

euer
Karl Neumann