20. Glaubensbrief - Januar 2008   PDF-Zeichen als PDF-Datei (81 kB)

Nichts als der Durst wird uns leuchten

„In dunkler Nacht wollen wir ziehen, lebendiges Wasser finden. Nichts als der Durst wird uns leuchten, nichts als der Durst wird uns leuchten.“
Die große Kirche in Taizé ist fast dunkel. Nur Kerzen und wenige Lampen geben ein spärliches Licht. Die vielen Jugendlichen, die im Halbdunkel auf den Treppen und dem Filzboden sitzen (Kirchenbänke gibt es nicht), singen das Lied von der dunklen Nacht, auf Deutsch oder im originalen spanischen Text:

„De noche iremos, de noche, que para encontrar la fuente, sólo la sed nos alumbra, sólo la sed nos alumbra."
Sie wiederholen wieder und wieder diese wenigen Worte.

Auf dieser Seite können Sie sich das Lied anhören (etwa ein Drittel hinaufscrollen).

Auf der Suche

Tolle Stimmung und geistliche Atmosphäre in Taizé

„In dunkler Nacht wollen wir ziehen“.
Die Jugendlichen und Erwachsenen, die nach Taizé kommen, sind Menschen auf der Suche. Sie haben das Gefühl, wie durch eine dunkle Nacht zu ziehen. Wo ist Gott? Vielleicht sind sie misstrauisch gegen die etablierten Religionen und suchen ihre eigene. Vielleicht sind sie christlich getauft und erzogen, aber von ihrem Glauben ist nur noch ein Rest geblieben. Vielleicht sind sie gläubige Menschen, merken aber, dass auch der Glaube die Dunkelheit nicht einfach auflöst. Gleich welcher Gruppe sie angehören, sie alle – wir alle – sind auf dem Weg: „In dunkler Nacht wollen wir ziehen“.

Der Durst zeigt uns die Richtung

„Nichts als der Durst wird uns leuchten“.
Was uns leuchtet, was uns Orientierung gibt in dieser dunklen Nacht, ist nur unser Durst, nur unsere Sehnsucht. So wie gewisse Tiere das Wasser schon von weitem riechen, wenn der Durst sie treibt, so sind wir auf der Suche nach lebendigem Wasser, und unser Durst, unsere Sehnsucht leuchtet uns und gibt uns Orientierung.

Darum möchte ich sagen: Auch wenn dein Glaube so schwach geworden ist, dass er wie ein schwaches Lämpchen in dunkler Nacht scheint, folge deinem Instinkt. Auch wenn dein Glaube fast nur noch aus Sehnsucht besteht: „Ich möchte gern glauben“, lass diese Sehnsucht dein Kompass in der Nacht sein.

Wir haben nicht auf alles eine Antwort

Ich glaube, dies ist ein ehrliches Lied, und darum ist es auch so beliebt. Es tut nicht so, als ob alle gläubige Christen wären. Und es macht uns nicht vor, der Glaube würde uns alle Probleme lösen. Wir haben nicht auf alle Fragen eine Antwort parat, auch ich als Priester nicht. Auch wir Christen gehen durch die Nacht, im Dunkel des Lebens, im Dunkel des Glaubens, gemeinsam mit allen Suchenden, bis wir das lebendige Wasser finden.

Ein glückliches, gesegnetes Neues Jahr!

Euer
Karl Neumann