18. Glaubensbrief - November 2007   PDF-Zeichen als PDF-Datei (57 kB)

Der innere Kompass

Was machst du, wenn du mit der Kirche wenig Kontakt hast, und auch die Bibel dir ziemlich unbekannt ist? Aber du lebst deshalb doch nicht so, wie es dir gerade Spaß macht. Du spürst eine Verantwortung in dir – eine Verantwortung vor wem? Du spürst ein Gewissen in dir – eine Instanz, eine Art innerer Stimme. Sie sagt dir vorher, was du tun sollst, sie ist eine Art Kompass, der dir die Richtung zeigt.

Und sie sagt dir nach einer Tat, ob sie gut oder böse war. Hast du gut gehandelt, dann hast du ein gutes Gefühl, ein gutes Gewissen. Auch wenn dich die Leute kritisieren, du weißt: Vor meinem Gewissen habe ich richtig gehandelt. Ein gutes Gewissen gibt dir einen inneren Frieden. „Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen“, sagt man.

Hast du dagegen schlecht gehandelt, dann hast du hinterher Gewissensbisse, auch wenn du bei der Tat selber vielleicht ein angenehmes Gefühl hattest. Gewissensbisse: wenn man das Wort einmal wörtlich nimmt, sagt es: es ist ein beißendes Gefühl, es nagt an dir, und was dir vorher vielleicht Spaß machte, macht dir jetzt gar keinen Spaß mehr. Oft sieht man das Unrecht ja erst hinterher ein, wenn man klarer durchblickt.

Achte auf die leise Stimme in dir


In unbekannte Tiefen hineinlauschen

Was ich dir in diesem Brief sagen will, ist: Achte auf diese innere Stimme in dir. Sie ist manchmal leise, und man kann sie sogar zum Schweigen bringen. Aber man kann auch das Gegenteil tun: man kann sein Ohr schärfen. Wenn man immer wieder auf sie hört, wird sie langsam vernehmlicher.

Achte auf diesen inneren Kompass in dir, der dir die Richtung zeigt. Lebe nach deinem Gewissen. Tu das, was dein Gewissen dir sagt. Handle nie gegen dein Gewissen. Und wenn es dir doch passieren sollte, bereue es, und du kannst wieder von neuem beginnen.

Es ist interessant, was einer der größten Theologen, nämlich Thomas von Aquin, sagt. Das Urteil des Gewissens ist für Thomas die letzte Instanz, nach der sich der Mensch zu richten hat, auch wenn er damit der offiziellen Kirche widerspricht. Thomas hat sogar gesagt: Wenn du im Gewissen überzeugt bist, dass der christliche Glaube falsch ist, dann musst du ihn aufgeben (siehe Schnupperkurs Glauben, 5. Brief).

Nun möchte der katholische Mustertheologe Thomas von Aquin nicht sagen, man könne und solle das Gewissen gegen die Kirche oder den Glauben ausspielen. Er sagt: In diesem Fall irrt dein Gewissen, aber du musst auch einem irrenden Gewissen folgen, weil das Gewissen die höchste Instanz ist. Doch du musst dein Gewissen bilden. Indem du nicht einfach mit dem Strom schwimmst, sondern selber darüber nachdenkst, was wahr und was gut ist, und was du tun sollst.

Außerhalb der Kirche kein Heil?

Wenn es dir zur guten Gewohnheit geworden ist, deinem Gewissen zu folgen, dann wirst du auch leichter zum Glauben kommen. Denn Glaube hat auch mit deinem Verhalten zu tun. Viele Menschen können nicht glauben, weil sie nicht nach ihrem Gewissen leben. Wenn es Gott gäbe, wären sie übel dran. Also glauben sie erst gar nicht. Wenn man dagegen, seinem Gewissen folgend, gut lebt, ist der Schritt zum Glauben nicht mehr so groß. Man muss dann sein Leben gar nicht sehr ändern.

Aber auch, wer trotz ernsten Bemühens (!) nicht zum christlichen Glauben kommt, kann gerettet werden, wenn er nach seinem Gewissen lebt. Das hat das letzte Konzil der katholischen Kirche festgestellt und damit den alten Spruch „Außerhalb der Kirche kein Heil“ über den Haufen geworfen.

Darum ist es so wichtig, was ich oben sagte: Auch wenn du zur Zeit noch nicht glauben kannst, versuche, deinem Gewissen zu folgen, auch wo es schwer ist, auch wo es vielleicht heißt, einen einsamen Weg zu gehen.

Dass Gott dabei mit dir ist,
das wünscht dir

dein Karl Neumann