15. Glaubensbrief - August 2007   PDF-Zeichen als PDF-Datei (90 kB)

Ein seltsames Sonnenbad

Ein alter Bauer saß immer wieder lange in der Kirche und betete. Der Pfarrer sah ihn so oft und so lange beten und fragte ihn schließlich: „Herr N.N., was beten Sie eigentlich die ganze Zeit?“ Herr N.N. lächelte nur. „Es ist ganz einfach“, sagte er. „Ich halte einfach meine Seele in die Sonne“.

Schweigen

„Gebet ist Sprechen mit Gott“ habe ich in der Schule gelernt. Aber Gebet kann auch Schweigen vor Gott, Schweigen mit Gott sein, wie ich gegen Ende des letzten Glaubensbriefes sagte. „Mit Gott in der Sonne sitzen“ – wie mit einem alten Freund, wie mit einem Ehepartner, so hieß dort eine Überschrift. Und nicht nur mit ihm in der Sonne sitzen. Er selber ist ja die Sonne, deren Strahlen ich mich aussetzen kann. Dann durchdringen sie mich, erwärmen mich, geben mir Frieden. „Ich halte meine Seele in die Sonne.“ Ein angenehmes Sonnenbad!

Hören


In Andacht und Schweigen vor Gott kommen

Wir können noch einen Schritt weiter gehen. Vor Gott schweigen, hatten wir gesagt. Doch das Schweigen vor Gott ist ein hörendes Schweigen. Man kann in die Stille hineinhorchen. Ein Buch von Henri Nouwen heißt „Ich hörte die Stille“. Ja, es klingt wie ein modisches Paradox, aber man kann die Stille hören. Nicht nur, dass man die kleinsten Geräusche hört, wenn man innerlich ganz still wird. Du hörst z.B. das Ticken der Uhr, das du sonst nie hörst. Aber du hörst nicht nur die kleinsten Geräusche. Auch deine inneren Stimmen hörst du besser. Und es kann sein, dass in deinen inneren Stimmen Gott zu dir spricht. Auf die leise Stimme Gottes in dir horchen, das ist schweigendes Gebet.

Ich will dir hier kein Wunder versprechen. Du hörst die Stimme Gottes nicht so, wie von den Propheten erzählt wird. Vielmehr ist es so: dir wird auf einmal klar, was du tun sollst. Wenn du in das Schweigen deines Herzens hineinhorchst, erkennst du mit großer Sicherheit: Das ist das Richtige. Das will Gott von mir, jetzt.

Warten

Es kann sein, dass du horchst und doch seine Stimme nicht hörst. Dann heißt schweigendes Beten: warten, in Geduld das Schweigen aushalten. „Lerne auf ihn zu warten..“ sagt Frère Roger (siehe den letzten Glaubensbrief). Gebet ist oft oder meist keine strahlende Gottbegegnung. Es ist Warten auf Gott, Warten auf seine Nähe.
Aber schweigend auf IHN zu warten, ist keine tote Zeit. Es gibt Erfüllung. Denn es heißt, seine Seele in die Sonne halten. Und diese Sonne, um die alles kreist, schweigend anbeten.

Der russische Pilger

Ein solches Gebet ist wie ein Licht, das man nicht einfach ausschalten kann, wenn das Gebet zu Ende ist. Die Sonne soll auch meinen Alltag erleuchten und erwärmen. „Betet ohne Unterlass“ steht in der Bibel (1. Thessalonicherbrief 5, 17).
Ein junger russischer Mönch hörte dieses Bibelwort im Gottesdienst und machte sich auf die Suche: Wie kann man ohne Unterlass beten? Niemand konnte es ihm erklären. Schließlich kam er zu einem alten Einsiedler, der lehrte ihn das Jesusgebet. „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“ sollte er immer wiederholen. Er tat es so lange, bis ihm Zunge und Lippen schmerzten, aber schließlich wurde es wie ein Rad, das von selber weiterschwingt, unablässig, selbst im Schlaf.

Es ist das Buch „Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers“, das ich hier ganz kurz wiedergegeben habe. Nun ist die Welt der russischen Starzen und Wandermönche, die es schildert, eine ganz andere Welt als die unsere. Wie kann der moderne Mensch, der mitten in der Welt und mitten im Beruf steht, in seinem beschäftigten Alltag dennoch die Verbindung mit Gott aufrechterhalten und immer wieder erneuern?

Der heiße Draht

Das braucht kein langes Gebet zu sein. Ein kurzer Aufblick zu Gott genügt schon. „Gott, du bist hier“. „Jesus, mein Meister“. „Herr, ich glaube an dich“. Oder einfach „Jesus Christus!“. Warum nicht auch das Jesusgebet: „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“.
Und das dann wiederholen. Aber nicht Tag und Nacht, nicht: je öfter, desto besser. Ich könnte auch nicht, obwohl ich katholischer Geistlicher bin, an die Ablässe denken, die mit manchen dieser Gebete verbunden sind, und dann „was haste, was kannste“ Ablässe sammeln. Solche fromme Sammelleidenschaft ist mir ganz fremd. Für mich sind diese kurzen Aufblicke, auf deren Wortlaut es mir nicht ankommt, so etwas wie der heiße Draht, mit dem ich immer wieder auf ganz einfache Weise mit Gott (oder mit Christus, oder mit dem Geist Gottes) in Verbindung treten kann. Sie sind Ausdruck der Sehnsucht, meine Seele nicht nur beim schweigenden Gebet, sondern auch oft über Tag in die Sonne zu halten.

Auch dir wünsche ich einmal ein solches Sonnenbad (nicht nur jetzt in der Urlaubszeit!)

dein Karl Neumann