11. Glaubensbrief - April 2007   PDF-Zeichen als PDF-Datei (80 kB)

Gegen die Freude


Ja, ihr habt richtig gelesen: „Gegen die Freude“ habe ich diesen Glaubensbrief genannt. Der Titel ist provozierend, gewiss, aber womit kann man heute besser provozieren als indem man die heilige Kuh der modernen Christen schlachtet, an ihrem ersten Glaubenssatz zu zweifeln wagt: dass Freude und Fröhlichkeit das Kennzeichen eines echten Christen sei. „Erlöster müssten sie mir aussehen, die Christen, damit ich an ihren Erlöser glaube“. Gerne wird dieses Wort Friedrich Nietzsches zitiert. Und damit man immer auch recht erlöst aussieht, bemüht man sich, ständig ein frohes Gesicht zu machen. Besonders im Karneval. Da wird dann im Gottesdienst über die christliche Freude gepredigt, womit klar ist: die lustigsten Karnevalsjecken müssen wohl die besten Christen sein.

Immer gut drauf!

Schön wär’s! Nur stimmt es leider nicht. Nicht nur, weil „am Aschermittwoch alles vorbei“ ist. Sondern auch und vor allem, weil Humor und Lustigkeit eine natürliche Begabung sind, die nicht jeder hat, die christliche Freude aber ist etwas, das alle haben können. Man muss beides gut unterscheiden, sonst kommt ein Krampf heraus. Wir leben in einer Spaßgesellschaft, wo es darauf ankommt, immer „gut drauf“ zu sein. Aber man darf das nicht mit der christlichen Haltung der Freude verwechseln. Gott sei Dank, wir Christen müssen nicht immer „gut drauf“ sein, und wir brauchen unseren Glauben nicht dadurch zu beweisen, dass wir immer ein frohes Gesicht machen.

Ich kenne große Christen und Theologen, die in ihrem Alter unter Depressionen litten. Ich weiß von einem Theologen, der deswegen immer wieder in die Klinik musste, und von einem weiteren, den man Sonntag Nachmittags in der Gegend herumfuhr, damit er auf andere Gedanken kam. Ihnen, und noch vielen anderen, ist das Lachen vergangen. Waren sie deshalb schlechtere Christen? Ich glaube nicht. Depression kann eine Krankheit sein wie jede andere. Wenn man diesen Kranken zu der Last, die sie tragen müssen, noch ein schlechtes Gewissen macht, indem man sagt: „Weißt du nicht, dass ein Christ ein froher Mensch ist? Wo sieht man denn an dir die christliche Freude?!“, dann würde man den Depressiven nur noch mehr quälen.

Spaßvögel und Trauerklöße

Was man bei dem Extremfall der Depression leicht einsieht, gilt aber ebenso für weniger spektakuläre Fälle. Die Menschen sind eben verschieden, und das ist gut so. Es gibt lustige Typen und es gibt ernste Typen. Der Lustige soll nicht meinen, er habe die christliche Freude gepachtet. Und der Ernste nicht glauben, er müsse ein fröhliches Gesicht aufsetzen, um „die christliche Freude zu bezeugen“. Da käme nur Krampf heraus.

Der warme Golfstrom in der Tiefe
 

Bin ich also gegen die christliche Freude? Gibt es sie nicht? Es gibt sie sehr wohl. Aber sie liegt nicht an der Oberfläche, sondern in der Tiefe. Jeder kann sie haben, der Lustige und der Ernste, der Gesunde und der Kranke. Sie ist kein Gegensatz zum Leiden, sondern es kann eine Freude mitten im Leiden sein. Sie ist wie ein Grundstrom in unserem Innern. Mag es an der Oberfläche stürmen und toben, mag das Wetter wechseln zwischen Regen und Sonnenschein: der Grundstrom der Freude tief in unserem Innern ist ständig da wie ein warmer Golfstrom.

Freude mitten im Leid

Daraus folgt: Nicht Karneval ist die Zeit, über die christliche Freude zu sprechen, sondern Ostern. Christliche Freude ist im Tiefsten Osterfreude. Osterfreude ist eine Freude, die alles Leid durchgemacht hat, sogar den Tod, sogar den Tod am Kreuz. Sie ist keinem Leid ausgewichen, aber dadurch hat sie alles überwunden. Nun kann nichts sie mehr schrecken, denn sie hat auch das Schlimmste hinter sich. Das, meine ich, ist die christliche Freude.

Recht frohe Ostern wünsche ich euch von Herzen.

Euer Karl Neumann