6. Glaubensbrief - November 2006   PDF-Zeichen als PDF-Datei (105 kB)

Eine ehrliche Haut

Ich bin ein friedlicher Mensch, aber es gibt Dinge und Menschen, die ich zum Teufel nicht ausstehen kann. Zum Beispiel die arroganten Schwätzer. Sie nehmen den Mund so voll, dass ich mir wie ein armes Würstchen vorkomme ihnen gegenüber. Bis ich merke, dass sie die wuchtigen Worte, die sie im Mund führen, nicht einmal selbst verstanden haben. Fremdwörter gebrauchen sie, um anzugeben, aber falsch. Peinlich, peinlich! Modewörter plappern sie nach, gedankenlos. Statt selbst zu denken, lassen sie denken.


Eine Brunnengestalt in Hamburgs Innenstadt

So möchte ich nicht sein, so möchte ich niemals werden – auch wenn ich mir dadurch die Karriere verderbe. Meine Sprache ist dazu da, um Wahrheit auszudrücken, und nicht um Wind zu machen. Ich schreibe nicht, um mit einem aufgedonnerten Stil andere zu beeindrucken, sondern um wichtige Dinge so auszusagen, dass sie jeder verstehen kann. Mir kommt es auf Ehrlichkeit und Echtheit an.

Es freut mich, dass das von vielen verstanden wird, wie ich aus den Mails sehe, die ich erhalte. Beispiele: „Man spürte immer, wie ehrlich und gut Sie es ... meinen.“ „Sie schreiben, was Sie denken. Offen und ehrlich.“ „Beeindruckt hat mich... Ihr Mut..., die Offenheit, in der Sie sich äußern. Gleichzeitig vermitteln Sie in Ihren Glaubensbriefen immer den Eindruck, absolut echt zu sein.“

Ich brachte meine Eltern in Verlegenheit

Ich will nun nicht in das Paradox fallen und damit angeben, dass ich nicht angebe. Aber Ehrlichkeit und Echtheit sind wirklich Werte, nach denen ich in meinem Leben strebe. Das fing offenbar schon früh an. Ich war wohl noch im Kindergarten, da kamen Leute zu meinem Vater und wollten einige Päckchen Leim kaufen. Mein Vater war Malermeister, hatte also gewöhnlich Leim zum Tapezieren usw. zu Hause. Doch dieses Mal hörte ich meine Eltern sagen: „Tut uns leid, wir haben kein einziges Päckchen mehr im Haus.“ Es war die Notzeit am Ende des Krieges, wo es kaum noch etwas zu kaufen gab und wo man das, was man hatte, wie einen Schatz hütete. Doch ich protestierte: „Wir haben wohl noch Leim im Haus. Ich weiß, wo noch etwas ist. Soll ich ihn holen?“ Es blieb meinen Eltern nichts anderes übrig als zu sagen: „Ja, hol ihn nur. Du wirst nichts finden. Wir haben nämlich wirklich nichts mehr im Haus!“ Ich ging hinaus und kam wahrhaftig mit zwei Päckchen Leim zurück, was meine Eltern in große Verlegenheit brachte. Ich war eben eine ehrliche Haut.

Die Leute dumm halten


Zeugnisse aus vergangener Zeit im Zwielicht

Eng verwandt mit der Ehrlichkeit ist die Wahrhaftigkeit. Wahrhaftigkeit: die fehle in der Kirche, hat Hans Küng gemeint und darüber ein Buch geschrieben. Ich habe es nicht gelesen, aber der Titel („Wahrhaftigkeit“) gefällt mir. Ich erinnere mich an die Zeit meines Studiums. Wir Ordensstudenten diskutierten über die dunklen Stellen der Kirchengeschichte: Ablasshandel, schlechte Päpste, Kreuzzüge, Hexenverbrennungen, Skandale – und vieles mehr. Das sei eine Erfindung der kirchenfeindlichen Medien, sagten manche meiner Kameraden. Man solle sie erst gar nicht lesen oder hören. Und wenn es schon wahr wäre, dann müsse man das aus der damaligen Zeit heraus verstehen (und entschuldigen). Und im Übrigen solle man über solche dunklen Punkte nicht viel reden. Man würde den einfachen Gläubigen nur Schwierigkeiten machen.

Also die Leute dumm halten, meinte ich, das ist eure Politik; das ist die Politik der Kirche! – Heute ist das Gott sei Dank anders geworden. Inzwischen hat sogar ein Papst öffentlich die Welt für die Schuld der Kirche um Verzeihung gebeten (Johannes Paul II. am Aschermittwoch 2000). Aber noch heutzutage habe ich einen Priester sagen hören: sexuelle Abenteuer eines Priesters seien ja verzeihlich, „aber bitte nicht in der eigenen Pfarrei!“. Das ist Aufforderung zur Heuchelei. Die Hauptsache, die fromme Fassade stimmt. Der Pharisäer lässt grüßen!

„Weh euch, ihr Heuchler!“

Jesus hat keinen Menschen gehasst, aber gegen die Pharisäer hat er scharfe Worte gefunden. „Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler!“ (Lies einmal das Kapitel 23 im Matthäusevangelium).

Von Liebe wird in der Predigt viel geredet, von Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit weniger. Man könnte sie „weltliche Tugenden“ nennen, die auch der Nichtchrist hat, die auch der Nichtchrist versteht. Und nicht selten sind Nichtchristen ehrlicher als wir Christen. Frère Roger schreibt einmal sinngemäß: Ich habe bei suchenden Nichtchristen eine Ehrlichkeit und menschliche Güte angetroffen, die man bei so vielen Christen schmerzlich vermisst. Während Christen unserem Wagnis in Taizé oft misstrauisch gegenüberstanden, fühlten wir uns von nicht wenigen Nichtchristen wirklich verstanden.

Ich will die Christen hier nicht schlecht machen, schon weil ich selber einer bin. Ich möchte nur sagen: Es gibt eine weltliche Spiritualität, die eine Art Fundament für das Übrige ist. Sie ist weiter als das offizielle Christentum, und sie liegt auch der spezifisch christlichen Spiritualität zugrunde. Ohne Ehrlichkeit wäre auch die christliche Liebe nicht viel wert. Auf diese „weltlichen Tugenden“ wollte ich heute einmal den Blick lenken.

Ich wünsche Euch, dass Ihr immer echt und ehrlich bleibt in Eurem Leben.

Euer Karl Neumann