3. Glaubensbrief - August 2006   PDF-Zeichen als PDF-Datei (77 kB)

Die böse Welt

Unsere Zeit ist eine glaubenslose Zeit. Unsere Welt ist eine gottlose Welt.
Ich lebte einmal in einer Gemeinschaft, da war dies das liebste Tischgespräch. Jeden Morgen servierte man schon zum Frühstück die neuesten Skandale, und manche frommen Seelen konnten sich gar nicht satt genug daran essen. Mit der gebotenen moralischen Entrüstung, versteht sich. Man regte sich auf über die Schlechtigkeit der Welt – und hatte doch seine heimliche Freude daran.


Löscht den glimmenden Docht nicht aus!

Ja, die Welt war schlecht, das stand fest. Seit die Jugend nicht mehr nach dem Herrgott fragte, stürzte sie immer tiefer in den Sumpf der Sittenlosigkeit. „Denen werden noch mal die Augen aufgehen! Dann werden sie sehen, wohin das führt“, so tönte es unisono, und ein Schuss Schadenfreude war in diesem frommen Wunsch nicht zu überhören. 

Ich erinnere mich nicht mehr an die Einzelheiten, aber ich hoffe, ich habe in diesen Chor nicht eingestimmt. Ich denke so: Es ist heuchlerisch, über die böse Zeit zu schimpfen. Wenn man die anderen schlecht macht, glänzt die eigene Tugend um so mehr. Ich sage: Packe dich an der eigenen Nase, bevor du über die Zeit schimpfst.
Jede Zeit ist uns von Gott gegeben. Wir leben in der heutigen Zeit, und da sollen wir Christ sein. Und gewiss: man kann auch in der heutigen Zeit Christ sein. Die Zeit, in der wir leben, ist eine von Gott gegebene Chance.

Gewiss, es ist heute vielleicht schwerer zu glauben als früher.  Der christliche Glaube in unserem Land geht zurück. Der Wind der Zeit bläst uns Christen ins Gesicht. An dieser Großwetterlage kann auch ein Ereignis wie der Tod des Papstes, die Wahl des neuen Pontifex und der Weltjugendtag in Köln nichts ändern. Wir Christen geraten immer mehr in die Diaspora, leben zerstreut unter Andersdenkenden.

Doch das war die Situation des Christentums an seinem Anfang, und da hat es seine stärkste Glaubenskraft entfaltet. Glaube heißt nicht, sich von der Meinung der Menge oder der Tradition treiben lassen, es heißt, sich persönlich für Christus entscheiden.  So kommt in der schwierigen Situation heute das, was Glauben heißt, vielleicht besser heraus als in vergangenen Zeiten. Es sind weniger, die glauben, aber die glauben, tun es bewusster.

Warum träumen manche immer noch vom christlichen Abendland und sehnen den Einfluss der Kirche zurück, den sie früher hatte? Nicht das ist wichtig, dass die Kirche großen Einfluss auf Gesellschaft und Politik hat, sondern dass sie nach dem Evangelium lebt.

Nun möchte ich andererseits auch die Schattenseiten der heutigen Glaubenssituation nicht übersehen. Ich habe den Eindruck, viele schweben im Niemandsland zwischen Glauben und Unglauben. Irgendwo ist noch ein Rest ihres Kinderglaubens hängen geblieben, sie glauben noch an einen Gott oder ein „höchstes Wesen“, aber er bestimmt nicht mehr ihr Leben. Ein scharfzüngiger Freund sagte einmal: „Gott ist für viele Leute das, was der Fallschirm für den Piloten ist: gut, ihn dabei zu haben, aber er hofft, dass er ihn niemals brauchen wird“.

Diese Bewohner des Niemandslands leugnen den Glauben nicht, aber sie interessieren sich für handfestere Dinge.

Ein bekannter Philosophieprofessor, Peter Wust, hatte ein Buch über den christlichen Glauben geschrieben. Er nannte es „Ungewissheit und Wagnis“. Voll Stolz zeigte er es seinem Bischof, dem späteren Kardinal Graf von Galen. Der antwortete barsch: „Ungewissheit und Wagnis? Mein lieber Peter Wust, für mich ist der Glaube weder Ungewissheit noch Wagnis!“

Das war der Unterschied zwischen dem Denker und dem Kirchenfürsten. Zwischen einem, der die Zweifel des heutigen Menschen mit durchlitten hatte und dennoch den Glauben wagte, und dem im katholischen Milieu groß Gewordenen, der für Ungewissheit und Wagnis der anderen wenig Verständnis hatte.


Eine interessante und erholsame Urlaubszeit wünsche ich euch!

Mit einem herzlichen Gruß

Euer Karl Neumann