Karl Neumann: Glaubenskurs Online15. Glaubensbrief, Februar 2004:

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Wer ist denn dieser Jesus?

Ein sympathischer Kerl, dieser Jesus. Wirkt direkt modern, vielleicht moderner als seine Kirche.

Doch was nützt Ihnen das? "Schön und gut", sagen Sie vielleicht, "aber warum soll ich mich ganz persönlich für Jesus interessieren? Sympathische Menschen gibt es viele, und darunter nicht wenige, die mir zeitlich und räumlich näher stehen als Jesus. Ich meine, Jesus ist schon reichlich lange tot!"

Wenn Sie so reden, haben Sie vollkommen Recht. Mag Jesus noch so ein cooler Typ sein, ich habe nicht mehr mit ihm zu tun als mit anderen, die vor zweitausend Jahren gelebt haben. Wenn - ja wenn er nichts anderes war als ein großer Mensch.

Was war er denn?

Nie hat Jesus gesagt: "Ich bin Gott"

Glauben Sie nun nicht, ich schlage Ihnen den Katechismus um die Ohren und töne: "Jesus war doch wahrer Gott. Das müssen Sie glauben!" - Und viele Leute glauben, dass er wie der leibhaftige Gott auf der Erde umhergewandelt ist, ohne Probleme, wie ein Superman, total überlegen.

Nein, so war es nicht. Nie hat Jesus gesagt: "Ich bin Gott". Schauen wir einmal, wie er in den Evangelien gezeichnet wird, wobei wir das Johannesevangelium einmal vorläufig beiseite lassen.

Wer war Jesus?

Wer Jesus war, das können wir nicht nur an seinen Worten über sich sehen. Denn Jesus redete mehr über Gott als über sich selbst. Er kündigte das Reich Gottes an und nicht sein eigenes Reich.

Allerdings stellten sich die Menschen, als sie sahen, was er tat und wie er redete, die Frage: "Wer ist dieser?". Diese Frage war erst noch verhalten, aber sie war immer weniger zu unterdrücken. Wer ist dieser, der solche Heilungen vollbringt? "Wer ist dieser, dass ihm auch der Sturm und der See gehorchen?" (Markus 4,41) "Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt? (Lukas 7,49)" "Wer ist dieser, dass er redet wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten? (vgl. Markus 1,22)".

Was ein Bibelwissenschaftler herausfand

Ein kritischer protestantischer Bibelwissenschaftler kommt zu folgendem Ergebnis:
"WER IST ER?

Sicher ist, dass Jesus Zöllner in seine Tischgemeinschaft und damit in die Gemeinschaft mit Gott gerufen hat, dass er also Vergebung geübt hat, als stünde er an der Stelle Gottes.
Sicher ist, dass er Menschen die Königsherrschaft Gottes zusprach, als könne er einfach darüber verfügen.
Sicher ist, dass er nie wie die Propheten des Alten Testaments seine Worte einleitete: ‚So spricht der Herr‘; oder gar wie die Rabbinen: ‚So steht geschrieben‘.

Er hat also nicht von sich selbst weg auf eine andere Autorität gewiesen. Im Gegenteil. Unter den Jesusworten, die am ehesten zu den echten gezählt werden können, sind unerhörte Aussagen wie das: ‚Ich aber sage euch‘, die das ‚Ich‘ Jesu an die Stelle Gottes setzen. Und wenn Jesus darauf hinweist, dass er ‚mit dem Finger Gottes Dämonen austreibt’ (Lukas 11,20), dann setzt er seinen Finger mit dem Finger Gottes in eins. Wenn es Sodom und Gomorra besser ergehen wird im Jüngsten Gericht als den Städten, die Jesus verwerfen (Matthäus 11,21-24), wenn Jesus mehr ist als Salomo und Jona und Johannes der Täufer (12,41-42; 11,11-14), wer ist er denn?" (Eduard Schweizer)

Das kleine Wörtchen "Abba"

Jesus sagt also vor allem indirekt etwas über sich aus. Er lässt die Menschen ahnen, wie tief sein Geheimnis ist, dass es in das Geheimnis Gottes hineinreicht.

Wer ist dieser Jesus? Er hatte etwas von einem jüdischen Rabbi (Lehrer), aber er war mehr als ein Rabbi. Er hatte etwas von einem Propheten. Doch er war auch mehr als ein Prophet. Kein Prophet hätte Gott mit dem Wort angeredet, mit dem Jesus ihn anredete. Es war das Wort "Abba". Das ist ein aramäisches Wort. Die Bibel ließ es in der Sprache stehen, die Jesus gesprochen hat. Weil er darin sein einzigartiges Verhältnis zu Gott ausdrückte. Abba ist das Wort, mit dem ein Kind damals seinen Vater anredete. Es heißt nicht einfach "Vater", sondern wir können es etwa mit "Papa" oder "lieber Vater" übersetzen. Es zeigt, dass Jesus sich in einer ganz einmaligen Weise als der Sohn Gottes wusste. Es gibt ein Wort von ihm, das heißt: "Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will" (Matthäus 11,27).

Jesus ohne Vergoldung

Viele Zeitgenossen heute schätzen Jesus. Aber sie denken, die Geschichte mit ihm war so: Da hat ein Jude namens Jesus gelebt, ein Querdenker, ein Idealist, der für seine Überzeugung in den Tod gegangen ist. Dieser Jesus wurde dann nachher, wie das so zu gehen pflegt, mit Legenden golden übermalt. Man hat aus ihm den Sohn Gottes gemacht, die Kirche hat ihn angebetet. Doch das war ein gewaltiger Irrtum. Jesus wollte gar nichts anderes sein als ein Mensch, ein Reformer innerhalb der jüdischen Religion. Und so, in seinem Scheitern, ist er auch viel sympathischer als in all dem Goldglanz, den die Kirche ihm umlegt.

Natürlich kann jeder so über Jesus denken. Aber es widerspricht ganz einfach den Tatsachen, dass Jesus selbst sich so verstanden hätte. Die Experten, die die Bibel mit den Methoden der historisch-kritischen Wissenschaft durchforschen, sind sich weitgehend einig, dass er sich nicht so verstanden hat. Er hat zwar nie gesagt: "Ich bin Gott". Das wäre in seiner jüdischen Umwelt undenkbar gewesen. Aber er wusste sich als Gottes geliebten Sohn, in einem Sinn wie kein anderer Mensch es war oder ist.

Herzlichst Ihr Karl Neumann