Karl Neumann: Glaubenskurs OnlineZwölfter Brief, November 2003:

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Jesus der Provokateur

"Was ich von Jesus halte? Für mich war er ganz einfach dumm. Er war ein blauäugiger Idealist, er ging für seine Ziele mit dem Kopf durch die Wand. Wenn er klug gewesen wäre, hätte er den Konflikt mit seinen Gegnern vermeiden können und er hätte sich den Kreuzestod erspart."

Das schrieb einer meiner Studenten in Japan. Ich hatte sie gebeten, einmal ganz ehrlich und ohne Namen zu schreiben, was sie von Jesus denken. Nun, diese Studenten waren keine Christen. Und es waren auch ganz andere Stimmen darunter

Ich entdeckte einen ganz anderen Jesus

Für mich selbst kam eigentlich im Alter von etwa 18 Jahren eine Zeit, wo ich Jesus neu entdeckt habe. Vorher war er noch mehr oder weniger der "liebe Heiland", zu dem meine Mutter mich beten gelehrt hatte. Er war der angepasste Kirchenchristus, der abgehobene Gottessohn, der über die Erde ging, einfach alles wusste und alles konnte. Was er mich lehrte, war, brav zu sein und die staatlichen und kirchlichen Gebote zu befolgen.

Dann kam die Zeit, wo ich einen neuen Jesus entdeckte. Ich entdeckte ihn in den Evangelien. Ich fing nun an, selber darin zu lesen, und zwar das Ganze, und nicht nur die Auszüge, die in der Schulbibel gestanden hatten oder die man in der Kirche hörte. Was ich entdeckte, faszinierte mich - und fasziniert mich noch heute.

Jesus unter Superfrommen

Es war ein jugendlicher Jesus. Wie sollte er auch anders sein, wenn er nicht älter als etwa 33 Jahre wurde? Ich sehe ihn in einer verknöcherten Gesellschaft, die superfromm war, aber voller Vorurteile, und zwar frommer Vorurteile.

Es muss ein Spaß gewesen sein, eine solche Gesellschaft aufzumischen. Aber Jesus tat es nicht aus Spaß. Er fing an, die Leute zu provozieren.

Ein Gleichnis, das es in sich hatBlick auf Jerusalem - Bild zum Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, Jesus provoziert; aus dem Internetangebot von www.glaubensinformation.de, ein Schnupperkurs Glauben - jeden Monat ein neuer Glaubensbrief Online. Das Angebot macht Karl Neumann

Zum Beispiel hat er ein Gleichnis erzählt. Es gab eine Straße, die führte von der Hauptstadt Jerusalem hinunter ins Jordantal. Ich bin vor einigen Jahren diese Straße selbst gefahren, in einem klapprigen Linienbus. Sie führt in unzähligen Kurven durch eine menschenleere Gegend, links und rechts sieht man nur Stein- und Felsenwüste. Ein idealer Ort für Raubüberfälle. Jesus erzählt dann von einem solchen Raubüberfall. Ein Mann wurde ausgeraubt und halbtot an der Straße liegengelassen. Ein jüdischer Priester kam vorbei, sah ihn da liegen - und machte, dass er weiterkam. Ebenso ein Levit (ein Tempeldiener). Auch er sah ihn in seinem Blut liegen und ging ohne zu helfen vorbei. Schließlich kam ein Mann vorbei, der gar kein richtiger Jude war. Er gehörte dem Volk der Samariter an, den Erzfeinden der Juden. Dieser Mann, der nun am wenigsten Grund gehabt hätte, sich für einen Juden die Finger schmutzig zu machen, er sah den Halbtoten, hielt an und half ihm. (Sie können die Geschichte nachlesen im Lukasevangelium Kapitel 10, Vers 30 bis 37.)

 

Ein Schlag ins Gesicht

 

Das war ein Schlag ins Gesicht für die Priesterklasse, für die Tempeldiener, ja für alle frommen Juden, die stolz darauf waren, Juden zu sein. Ausgerechnet der Ausländer, dazu noch der Erbfeind, der am wenigsten Grund hatte zu helfen, er half. Und die frommen Leute, die vielleicht viel von Liebe predigten, die halfen nicht, obwohl es dazu noch ihr Volksgenosse war.

Das war Jesus. Er hat diese Geschichte, obwohl Ähnliches oft und oft passiert sein mochte, bewusst so ausgestaltet. Er hatte keine Angst, zu provozieren. Unser japanischer Student hat recht: klug war er nicht, wenn Klugheit meint, möglichst glatt durchzukommen und sein Schäfchen ins Trockene zu bringen.

 

Wer ist mein Nächster?

 

Aber Jesus hat diese Geschichte natürlich nicht erzählt, um die Leute zu ärgern. Er hat provoziert, um sie wachzurütteln aus ihren Vorurteilen. Er wollte ihnen sagen: Bildet euch nichts darauf ein, Priester oder Tempeldiener oder Juden zu sein. Es gibt Leute, die keine Juden sind, ja die ihr für eure Erbfeinde haltet, die sind besser als ihr. Und Nächstenliebe darf sich nicht darin erschöpfen, dem "Nächsten" zu helfen, also den Verwandten, den Bekannten, den Volksgenossen. Sondern es ist so: der Mensch, der mir an meinem Weg begegnet, der ist mein Nächster, auch wenn er mir der Fernste scheint.

Batik: 'Barmherziger Samariter' von Margarete Ehlert - Foto: Bernhard Ehlert - für den Glaubenskurs Online, Brief November 2003 freundlich zur Verfügung gestellt von der brüder maria gemeinschaft; im Internet unter www.bruedermaria.de erreichbar
Grafik: Batikarbeit von Margarete Ehlert - Foto von Bernhard Ehlert - für den Glaubensbrief November 2003 freundlich zur Verfügung gestellt von der brüder maria gemeinschaft; im Internet unter www.bruedermaria.de erreichbar

Mit frohen Grüßen
Ihr
Karl Neumann

neumann@glaubensinformation.de