Karl Neumann: Glaubenskurs OnlineSechster Brief, Mai 2003:

Der halbierte Gott

Das Fundament des Glaubens ist Gott. Er ist das Einfachste, das Fundamentalste, an das viele Menschen glauben, die die komplizierten Dogmen des Christentums ablehnen. An das auch andere Religionen glauben, z.B. die Juden und die Muslime. Wir wollen mit diesem Fundament anfangen.

Die meisten hierzulande haben schon als Kinder an den "lieben Gott" geglaubt, auch wenn sie diesen Glauben dann später aufgaben. Sie kennen vielleicht gar keinen anderen Gott als ihren Kindergott.

Der kindliche Gott

Das ist ein Gott, der sitzt im Himmel über den Wolken und hat einen langen Bart - so etwa wie der Weihnachtsmann. Er sieht alles, kann alles, ist ein richtiger Supermann. Er kann die tollsten Dinge machen, und ich habe mir früher immer ausgemalt, was er alles machen sollte.

Aber er ist natürlich auch streng. Vor allem sieht er alles, was die Kinder anstellen, wenn die Eltern nicht dabei sind. Und das bestraft er dann, auch wenn Vater und Mutter es nicht sehen und nicht bestrafen sollten.

Also ein Gott, der ein Teil der kindlichen Märchenwelt ist. Und ein Gott, den die Eltern als Erziehungsknüppel benutzen, als ihren verlängerten Arm und ihr verlängertes Auge. Für diesen Gott hat Sigmund Freud Recht: er ist für das Kind eine überhöhte Vaterfigur, er ist die Verinnerlichung der elterlichen Gebote.

Und für viele bleibt es das ganze Leben lang so. Und zwar in beiden Fällen: ob sie an einem solch kindlichen Gottesbild ihr Leben lang festhalten, oder ob sie es später ablehnen in der Meinung, dies sei der christliche Gott. Beide Male wird das Gottesbild vom Kindergott bestimmt.

Natürlich ist das nicht alles, was über den kindlichen Gott zu sagen ist, aber es ist doch etwas, was sehr viele erlebt haben.

Der Vulgär-Gott

 

Ein anderes schiefes Gottesbild ist das, was ich einmal den Vulgär-Gott nennen möchte.

Nach einer neuen Untersuchung glauben von den 13- bis 29jährigen in Deutschland nur 10 % an den christlichen Gott, aber doppelt so viele an "eine höhere Macht". Auch bei den Älteren ist der Gott, an den die meisten glauben (wenn sie überhaupt glauben) ein "höheres Wesen". "Ja, ich glaub schon, dass es irgendwo ein höheres Wesen gibt", hört man oft. Dieses Irgendwo muss wohl ziemlich weit weg sein, denn für ihr Leben hat dieses höhere Wesen jedenfalls keine Bedeutung. Außer wenn man etwas von ihm haben will. Und auch da hilft es meist nicht. Man kann sich dann jedenfalls gut bei ihm beschweren.

Auch für viele, die sich Christen nennen, existiert Gott vor allem dann, wenn sie ihn brauchen. Aber was ist das für eine Beziehung, wo der andere Luft ist, außer wenn man ihn braucht? Wer wird sich so etwas gefallen lassen?

Und wenn man dann einmal etwas von ihm braucht, dann muss es aber geschwind gehen, dann will man am liebsten gleich ein Wunder sehen, sonst ist man sauer und kümmert sich noch weniger um ihn. Diese Leute sagen es zwar nicht, aber sie behandeln Gott wie ihren Diener, der springen muss, wenn man ihm etwas sagt. Jedem Menschen sagt man "Dankeschön", wenn man etwas von ihm erhalten hat. Behandelt man Gott schlechter als einen Menschen? Jede menschliche Beziehung muss man pflegen. Glaubt man, dass man ausgerechnet die Beziehung zu Gott nicht pflegen müsse? Es gibt ein ganz einfaches Rezept: Behandle Gott so, wie Du einen guten Menschen behandelst. An einem guten Verhältnis zu einem Menschen kannst Du die Regeln für ein gutes Verhältnis zu Gott ablesen.

Gott ist zwar kein Mensch, aber er ist auch nicht weniger als ein Mensch. Er ist nach christlichem Verständnis eine Person und kein nebelhaftes "höchstes Wesen". Jesus hat ihn Vater genannt. Vater bedeutete für ihn: eine große persönliche Liebe, gepaart mit einer großen Autorität. Für Jesus hieß das, ihm in Liebe und Gehorsam ganz tief verbunden zu sein.

Der halbierte Gott

Ja, auch in Gehorsam.

Viele hören das nicht gerne. Sie lassen sich noch einen Gott gefallen, von dem sie jeden Tag ihre Streicheleinheiten beziehen, bei dem sie sich geborgen wissen, der sie beschützt und behütet. Das ist gut und schön.

Aber dass dieser Gott auch ihr Leben und ihren Alltag bestimmen will, dass er Forderungen stellen könnte, das können sie nicht akzeptieren.

Die angenehme Hälfte des Gottesbildes nehmen sie gerne an, aber den Rest ignorieren sie . Das nenne ich einen halbierten Gott.

Kein Wunder, dass ein solch saft- und kraftloser Gott, ein Gott, der nur zu meiner ideologischen Bestätigung da ist, beim nächsten kräftigen Windhauch weggeblasen wird. Auf ihn trifft wiederum Freuds Ansicht zu, Gott sei nur die fiktive Wunscherfüllung des Menschen, und es sei besser, sich seine Wünsche in der Realität zu erfüllen als in solch frommer Fantasie. Es sei besser, die Ungeborgenheit auszuhalten als sich eine solch fromme Geborgenheit vorzuspiegeln. Wenn Gott so wäre, dann hätte diese Religionskritik ganz Recht.

Aber Gott ist nicht so.

Worüber ich heute sprach, sind schiefe Gottesbilder, ist ein halbierter Gott . Im nächsten Glaubensbrief dann mehr.

Mit frohem, herzlichen Gruß

Ihr
P. Karl Neumann

karlneumann@glaubensinformation.de