Dritter Brief, Februar 2003:
Ein Weg für Glückspilze
Nur für Pechvögel?
"Not lehrt beten", sagt man. Ein Unfall reißt mein Leben aus der Bahn. Ein Mensch, ohne den ich nicht leben kann, verlässt mich. Das kann wie ein Schlag vor den Kopf sein. Ich kann nicht mehr einfach in den Tag hinein leben, ich beginne nachzudenken, vielleicht zu grübeln. Es gibt Leute, die haben so zum Glauben gefunden, ich habe es im letzten Brief geschildert. Aber wie ist es mit den anderen, die ohne Unfall auf der Autobahn ihres Lebens dahinfahren, glücklich und zufrieden - haben die keinen Grund zu glauben? Ist der Glaube nur für Pechvögel da? Bei Gott, nein. Genauso für Glückspilze. Das Glück kann mich ebenso auf Gott hinstoßen wie das Pech. Erfahrung einer tiefen Liebe Das habe ich in Japan erlebt, wo ich 13 Jahre meines Lebens verbrachte. Ich habe viele Japaner verheiratet, die überhaupt nicht christlich waren. Sie wollten aber gerne kirchlich heiraten - das ist in Japan direkt Mode geworden. Die Motive sind unterschiedlich, aber bei denen, die ich traute, war es meist so: Obwohl die meisten Japaner nicht an Gott glauben, spüren viele: Die tiefe Liebe, die wir beide erleben, haben wir nicht selbst gemacht. Sie ist uns geschenkt worden. Geschenkt - von wem? Dass ich diesen Menschen kennengelernt habe, mit dem ich nun mein ganzes Leben verbringen will, kann kein platter Zufall sein. Hier ahne ich, dass eine unsichtbare Hand mein Leben - unser Leben - führt, und dass ich dieser Hand vertrauen darf. Und die Treue bis zum Tod, die ich verspreche (auch in Japan!), kann ich aus eigener Kraft kaum halten. Dafür muss ich die Hilfe und den Segen einer höheren Macht erbitten, wer immer das sein mag. Ich denke, dass ich damit die Motive der meisten nichtchristlichen Japaner, die ich traute, so ungefähr umschrieben habe. "Gott ist Liebe", sagt die Bibel, da ist es kein Wunder, dass das Erlebnis einer tiefen Liebe zur Erfahrung Gottes werden kann. Wenn die Kinder kommen Wenn dann Kinder kommen, ist das wieder eine Gelegenheit, dem Glauben zu begegnen. Für viele sogar noch intensiver als bei der Hochzeit. Man möchte, dass die Kinder nicht ganz ohne Religion aufwachsen, man möchte vielleicht mit ihnen beten. Aber wie kann man sie religiös erziehen, wenn man selber keine Religion hat? Wie kann man mit ihnen beten, wenn man selber nicht betet? Religion ist nicht wie das Märchen vom Weihnachtsmann oder vom Osterhasen, das man Kindern erzählen kann, ohne selbst daran zu glauben. Den eigenen Kindern möchte man Werte mitgeben und einen Sinn für ihr Leben, der auch hält, wenn sie erwachsen sind. Die Verantwortung, die so mit den Kindern ins eigene Leben hineinkommt, stößt viele darauf, sich wieder mit dem Glauben zu beschäftigen. Bei Katholiken ist oft die Erstkommunion der Kinder ein solcher Anlass. Zwei Beispiele waren das, wie Liebende und Eltern gerade in ihrem Glück ein Tor finden zu dem, der ihnen ihr Glück schenkt und garantiert. Glaube - eine überholte Welt? Aber wo wir schon einmal von Kindern sprechen, stellen sich doch auch schwere Fragen: Kinder glauben viel, sie glauben sogar Märchen. Aber wenn sie größer werden, durchschauen sie solche Märchen. Und die meisten betrachten dann auch den Glauben als Märchen, das für ihre Kinderzeit vielleicht ganz schön war, aber vor dem kritischen Verstand des Erwachsenen nicht mehr bestehen kann. Denken nicht viele so, und haben nicht auch die Christen manchmal heimlich diesen Verdacht? Und könnte es nicht sein, wie manche sagen, dass der Glaube dem Kinderzeitalter der Menschheit angehört, und die Menschheit nun allmählich aus ihrem Kinderzeitalter heraustritt? Warum sind fromme Menschen denn so oft konservativ, ja rückständig? Warum streifen junge Leute, die mit der Zeit gehen wollen, so oft ihren Glauben wie ein altes Hemd ab? Die Shell-Jugendstudie Mich hat es da sehr beruhigt, als ich kürzlich die neue Shell-Studie über die Jugend in Deutschland las. Zunächst die schlechte Nachricht: ein dramatischer Rückgang des Glaubens unter den Jugendlichen; ja man muss dort schon von einem Zusammenbruch des Christseins sprechen. Fast drei Viertel sind vom christlichen Glauben abgefallen, noch viel mehr sind keine Kirchgänger mehr. Aber nun kommt die gute Nachricht, wenn wir den kleinen Rest betrachten, der noch oder wieder aktiv christlich ist. Es heißt über diese Gruppe: "Besser Gebildete sind religiös stärker sensibilisiert. Hier bestätigt die Shell-Studie auffällige Entwicklungen in Osteuropa für den Westen. Früher bedeutete mehr Bildung mehr Aufklärung und daher weniger Religion. Inzwischen ist die Glaubenslosigkeit weniger eine Angelegenheit von Intellektuellen als ein Phänomen der Massengesellschaft. Das Normale ist, nicht zu glauben. Nicht der Atheist ist der Exot, sondern der Christ. Dass an der Religion womöglich mehr dran ist, als der Massengeschmack erkennt, fasziniert heute eher die Gebildeten unter den Verächtern der Religion... Religiöse Neugier wird - wenn überhaupt - jedenfalls bevorzugt unter den geistigen Eliten geweckt." So weit zur kürzlich erschienenen Shell-Jugendstudie. Was will ich damit sagen? Nicht, dass Christen die besseren Menschen wären. Sind sie leider sehr oft nicht. Aber es ist doch für mich eine eindrucksvolle Antwort auf die Fragen, die ich stellte: Ist der Glaube nicht doch im Grunde etwas für Kinder und Leichtgläubige? Ist er etwas für die ewig Gestrigen, die Unaufgeklärten? Ist er vielleicht doch von den besten Köpfen schon überholt und ad acta gelegt? Diese Studie zeigt nun zumindest für einen wichtigen Bereich, dass er zwar von vielen, ja sehr vielen, ad acta gelegt wird, aber nicht unbedingt von den besten Köpfen. Ja, dass die Jugendlichen, die aktive Christen sind, nicht zur Nachhut, sondern zur geistigen Elite der Gesellschaft zählen. Mit frohem Gruß Ihr Karl Neumannkarlneumann@glaubensinformation.de |